Pickel

(Über die Pubertät des Konzepts „Working Mom“)


Wir wissen ja alle, wie es geht. Das mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, meine ich. Für uns Frauen gibt es tausend Vorbilder, tausend Möglichkeiten, tausend Fachbücher, tausend eigene Ideen und eine Million Kommentare dazu. Allein, hier und da gibt es klitzekleine Unreinheiten im schönen, gepflegten Antlitz des Konzepts „Working Mom“. Bisweilen auch Akne. Wie aus heiterem Himmel schreit man plötzlich sein Kind an, weil es seine Stiefel extra langsam zumacht, diese kleine Kröte, die einen nur ärgern will und EXTRA nicht hört, grad wo man es eilig hat, du gemeines Aas! Huch, war wohl ein bisschen heftig. Besonders wir Frauen gehen dann hart mit uns ins Gericht. Wir haben unser Kind angeschrieen! Wegen sowas! Etwas milder sind wir mit uns, wenn wir unseren Mann anschreien, weil er schon wieder den Geschirrspüler so dermaßen bekloppt eingeräumt hat, dass man alles nochmal von vorne machen muss, das kann doch nicht so schwer sein, Mann, TELLER zu den TELLERN und man kann das Ding auch ganz aufmachen und hinten was reinstellen, verdammt nochmal! Huch, war wohl ein bisschen heftig. Und plötzlich sind wir sauer auf die kinderlose Kollegin, die wegen eines harmlosen Schnupfens zwei Tage zu Hause geblieben ist, ZWEI TAGE, wegen SCHNUPFEN, von Schnupfen reden wir nichtmal und jetzt sitzen wir da und ausgerechnet heute macht der Kindergarten früher zu, als hätte sie’s geahnt, die faule Socke! Huch, war wohl ein bisschen heftig.

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Wo kommen die her, diese Pickel in unserem sauber ausgeklügelten Konstrukt, das uns glückliche Kinder, tolle Väter und totale Erfüllung versprochen hat? Es ist noch in der Pubertät und das bedeutet unter Anderem, dass ausgerechnet wir aufgeklärten Frauen, die alles reflektieren, verstehen, einordnen und relativieren können, unverhofft an Grenzen kommen. Und dann werden wir bisweilen so, wie wir nie sein wollten. Was führt dazu, dass das Leben hinter der schönen und lustigen Facebook-Familien-Heile-Welt-Fassade hier und da ganz schön aus dem Ruder läuft? Das:

1.: Unser Anspruch

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Viel berichtet, aber hier unbedingt noch einmal an erster Stelle zu nennen. Wir verlangen von uns Frauen, beruflich dort einzusteigen, wo wir vor den Kindern aufgehört haben und dann Karriere zu machen. Oder mit unserer Selbstständigkeit den ganz großen Wurf zu landen. Mit all der Verlässlichkeit und Kraft, die das erfordert, so, dass keiner merkt, dass wir nächtelang nicht geschlafen haben oder vor schlechtem Gewissen fast platzen, weil das Fieberkind seit 3 Tagen bei Oma wohnt. Im Kindergarten wollen wir dann erfüllt vom Tag voller Vorfreude ankommen und die Launen unserer Kinder mit einem milden Lächeln wegstecken. Dann flugs nach Hause, auf dem Rückweg noch schnell im Supermarkt vorbeischauen (ohne Peinlichkeiten und ja, es ist uns peinlich, all das, was Kleinkinder im Supermarkt so anstellen!) und zu Hause eben noch ne Wäsche rein, und dann wird gebastelt. Oder gesungen. Oder sich kreativ verkleidet. Auf dem Bio-Abendbrotstisch steht später pünktlich die ausgewogene Mahlzeit, zu der der Mann, falls er es rechtzeitig schafft, herzlich eingeladen ist.

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Nach dem einstündigen Insbettgehritual inklusive Kuscheln treffen wir uns dann mit unserem Mann bei einem guten Rotwein (Doppelverdiener!) auf dem Sofa. O.K., nur ne DVD statt Kino, aber man muss halt Opfer bringen. Wir wollen ja auch dem Mann noch die neuen Dessous zeigen, die wir im Internet gekauft haben, huiuiui, kicher, Kerze an und ab gehts! Und das jeden Tag, außer am Wochenende, da gehen wir mit der Freundin Kaffee trinken und der Mann „macht die Kinder“. Total gern natürlich. Ach, ich hab das Sportprogramm vergessen, hier gehen die Ansprüche durchaus auseinander. Manche verlangt von sich nur einmal die Woche Fitnesscenter (Doppelverdiener!), andere die tägliche Joggingstunde, sobald der Beckenboden wieder hält. Wer denkt an Omas Geburtstag? Kinder geimpft? Vorsorgeuntersuchungen noch im Plan? Passen noch alle Schuhe? Eigene Frisur noch zeitgemäß? Milch noch gut? Trotzphasenerziehungsratgeber-Workshop besucht? Ostereier ausgepustet? Adventskranz geklöppelt? Ladies, wir sind wahnsinnig! Niemand kann das auf Dauer schaffen, und wenn doch, dann nur mit entsprechenden Rahmenbedingungen, und damit kommen wir zum nächsten Punkt:

2.: Das Netzwerk

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Um auch nur der Hälfte unseres Anspruchs gerecht zu werden, brauchen wir einen Verbund. Ob der nun erkauft ist durch zusätzliches Betreuungspersonal oder durch Familie und Freunde von Natur aus da ist, spielt für das Gelingen keine Rolle. Wichtig ist, dass er groß genug und von Vertrauen geprägt ist. In den wenigsten Fällen ist das Netzwerk aber groß genug. Wenn es gut läuft gibt es eine Hauptoma und eine Zweitoma und eine Freundin oder Babysitterin neben dem Kindergarten. Oft gibt es das aber nicht, und dann steht man da mit ausgefallenem Plan A, wenn das Kind krank wird (oder man selbst!) und Plan B geht schon nicht mehr, weil man die Schwester nicht schon wieder fragen kann, die war letztes mal schon den Tränen nahe, kann aber nicht Nein sagen. Ja, wir Frauen können ausgezeichnet nicht fragen wollen und nicht nein sagen können. Standby-Babysitter sind teuer und es dauert Jahre, bis man genug Mütter kennt und die Kinder groß genug sind, damit man sie für ein paar Überstunden bei Freunden unterbringen kann. Aus irgendeinem Grund funktioniert die Vernetzung im Kindergarten, in dem fast alle Mütter das gleiche Problem haben, noch nicht optimal. Die geteilte Ersatzomi aus dem Viertel? Die Ausnahme. Zuverlässige Reihumbetreuung? Fehlanzeige. Da ist noch Luft nach oben. Ich glaube, das Problem liegt darin, dass sich keine traut, zu fragen. Es ist nicht gerade en vogue, Engpässe in der Familienorganisation offensiv anzusprechen, was sehr schade ist. Ist es aufgefallen? Bisher war die Rede hier hauptsächlich von den Müttern. Aus folgendem Grund:

3.  Die Rolle der Väter

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Auch hierüber ist hinlänglich analysiert, berichtet, und diskutiert worden (Der neue Vater, witzige Windelbücher von Vätern und so weiter). Was aber noch längst nicht ausreichend beleuchtet ist, ist der Vater mit berufstätiger Frau im eigenen beruflichen Umfeld. Über den wird überhaupt nichts geschrieben. Er ist aber eine tragende Säule im Familienmodell mit „Working Mom“. Jede berufstätige Frau mit Kind kennt den Moment: die wichtige Besprechung hat gerade erst angefangen, da kommt der Anruf: Kind krank. (Es wird natürlich die Mutter angerufen). Und los gehts: Cool bleiben, sich elegant aus der Besprechung stehlen, die KiTa vertrösten („Ich komm so schnell ich kann, ich muss nur noch schnell ein paar Kleinigkeiten regeln“), die Schwiegermutter anrufen, die kann nicht, selber krank, zeitgleich die Kollegin ins Thema einarbeiten, drei E-Mails schreiben, zwei weitere Besprechungen absagen, eine davon oberwichtig, das zweite Kind für den Nachmittag parken, zur Kita hetzen. Auf dem Rückweg ruft Frau den Mann an, dem das alles total leid tut. Echt. Hier ist ein Knackpunkt, und der liegt in vielen Fällen nicht in der Bereitschaft des Vaters, sondern in dem oft noch fehlenden Selbstverständnis Vorgesetzter, dass in solchen Situationen auch Väter gefragt sind. Es ist längst nicht üblich, dass Väter beruflich entbehrlich sind. Bei Müttern weiß jeder, dass es eben nicht anders geht, und je nach dem wird es zähneknirschend geduldet oder sogar unterstützt. Die Vorgesetzten von Vätern sind aber oft entweder selbst Väter, bei denen das auch nie ging, oder eben noch keine Väter. Auch hier ist noch viel Luft nach oben. Es ist eine gesellschaftliche und kulturelle Frage, keine wirtschaftliche oder individuelle. Es muss kollektiv eingefordert werden, dass die bezahlte Arbeit in solchen Fällen auch von Vätern unterbrochen werden kann.

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Es muss also eine erste Generation geben, die ganz selbstverständlich diese Rolle annimmt. Jeder Arbeitgeber wird damit umgehen können, aber kaum einer wird es von sich aus anbieten, wenn es nicht eingefordert wird. Erst dann kann das Modell aufgehen. Wenn beide arbeiten (egal wie viele Wochenstunden) sind beide gefordert, wenn die Familie ruft. Beide prüfen ihre Verfügbarkeit bei Notfällen und bei wem es weniger weh tut, der geht. So einfach wäre das dann. Ist es aber meistens noch nicht.

Ich bin trotz dieser Herausforderungen, die wir noch zu bewältigen haben, überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir, das ist meine eigene Familie, das ist aber auch meine Stadt, mein Land und viele andere westeuropäische Länder auch (in Abstufungen). Das liegt unter Anderem daran, dass das so schick klingende und dezent geschminkte Konzept der mordernen „Working Mom“ meist gar kein selbstgewähltes mehr ist, sondern einer finanziellen Notwendigkeit entspringt. Das gilt inzwischen für alle gesellschaftlichen Schichten, außer der obersten. Daher taugen auch mediale Vorbilder in dieser Hinsicht nichts. Sicher sind Frau Klum und Frau von der Leyen und Frau Lopez sehr tüchtige Frauen, aber eben tüchtige Frauen mit Kindermädchen. Nun können wir dies neidvoll feststellen und weiter Pickel drücken, oder wir freuen uns an unseren neuen Möglichkeiten und gestalten das Konzept „Working Mom“ beim Erwachsenwerden mit. Und fangen bei uns an.

Ich kaufe dieses Jahr einen Adventskranz. Ein Anfang.

 

(Bildquellen: 1: Benjamin Thorn 2: Konstantin Gastmann, 3: Rainer Sturm, 4: Angelina S., 5: Oliver Weber, 6: Uwe Steinbrich, Alle: pixelio.de)

Wahnsinn


Es folgt ein Einblick in die Fragenwelt einer Vierjährigen, genauer: meiner vierjährigen Tochter. Die Fragen sind im Originalwortlaut wiedergegeben und stammen allesamt aus diesem Jahr. Manche sind weinend, manche einfach nur interessiert vorgetragen worden. Der Übersicht halber und um die unsagbare Vielfalt und Breite vierjähriger Krausköpfe zu verdeutlichen, habe ich die Fragen in Themenblöcken zusammen gefasst. Ungefähr weitere 500 Fragen habe ich weggelassen.

Beim Durchlesen fällt mir hauptsächlich Folgendes auf: 1.: Es ist ein Wunder, dass wir im Laufe unserer geistigen Entwicklung mehrheitlich nicht wahnsinnig werden. 2.: Ich kann höchsten 20% der Fragen sicher beantworten, und das mit 42.

Und nun viel Spaß:

Sterben:

Kann man im Himmel auch basteln und in den Kindergarten gehen?

Aber was denn nun, Mama, ist man im Himmel und kann fliegen, wenn man tot ist oder ist man in der Erde vergraben?

Wie kann man mich denn hören und sehen, wenn ich tot bin, dann bin ich doch ein Engel und der ist doch Luft!

Wohnen in unserem Haus andere Leute, wenn wir alle gestorben sind?

Warum muss man denn einen Fisch tot machen, bevor man ihn isst?

Astronomie und Erdkunde:

Ist die Sonne auch ein Stern?

Ist die Erde ein Planet?

Mama, gibts das eigentlich wirklich, das Ende der Welt?

Mama, kommen die Sterne auch mit uns in den Urlaub?

Ist es bei den Pinguinen und Eisbären im Sommer warm? Werden da auch die Blätter grün und im Herbst bunt und fallen von den Bäumen?

Mathematik:

Wie geht eigentlich Rechnen?

Psychologie und Soziologie:

Kann ein böser Mensch auch jemanden lieb haben?

Hast Du mich auch lieb, wenn wir uns streiten?

Haben echte Prinzessinnen auch mal Hosen an?

Biologie und Naturwissenschaft:

Warum kriegen Menschen und Hunde und Katzen aus dem Bauch ihre Babies und Pinguine und Vögel aus Eiern?

Sind Ameisen so stark wie Pippi Langstrumpf? Können die auch eine Tür tragen?

Wo schlafen Schmetterlinge? Machen die dann auch die Augen zu?

Wenn es böse Bakterien gibt, was machen denn die guten?

Bin ich auch mal eine Mama?

Können Pinguine schwimmen?

Essen Pinguine Salat?

Richtig einfach sind nur die Pinguinfragen, oder? Die Prinzessinnenfrage ging auch. Aber „Wie geht Rechnen?“ Pff, ein weites Feld. Das Ende der Welt? Ich hab gesagt, das gäbe es nicht, fand aber, ich hätte gelogen. Alle Fragen zum Thema Sterben habe ich beantwortet, als gäbe es im Himmel eine wunderbare Parallelwelt mit Kindergarten und Allem, bloß, dass man dort ständig singt und fröhlich ist und nie streitet. Nun ja, ich weiß es halt auch nicht besser. Ehrlich gesagt, sogar bei der Erde und der Sonne kam ich ins Schleudern, habs dann aber intuitiv doch richtig beantwortet. Bei „Wer wird Millionär“ hätte ich aber womöglich einen Joker verballert. Meine liebsten Fragen sind die mit dem Liebhaben, da bin ich total sicher. Natürlich kann ein böser Mensch jemanden lieb haben und natürlich hab ich Dich lieb, meine Süße, auch wenn wir streiten. Die Frage mit den Schmetterlingen wiederum musste ich im Internet recherchieren, mit ihr zusammen. Tatsächlich, die legen sich zum Schlafen unter ein Blatt und ruhen sich dort aus, hätte man so nicht gedacht, oder?

Alles in Allem bin ich einigermaßen erstaunt, wie wenig ich über das Leben weiß. Ich hätte gedacht, gemessen an einer Vierjährigen wäre es mehr. Aber ich muss sagen, es stört mich nicht sonderlich, das ist wahrscheinlich die dann doch einsetzende Altersweisheit.

Und noch was: Ich freue mich wahnsinnig auf all die Fragen, die noch kommen, denn schon drüber nachzudenken macht mich reich!

Eltern Bashing Bashing

Eltern Bashing ist in. Und meistens fühle ich mich ertappt. Vielleicht bin ich gar nicht gemeint, aber trotzdem:

Allerliebste Menschen ohne Kinder, die uns Eltern, insbesondere in Großstädten, wo wir ja jede Ecke gentrifiziert haben, dies und jenes vorwerfen: es nervt langsam! Ich bin nicht bereit, meine Kinder mit Schokolade vollzustopfen, bis in die Puppen wach sein zu lassen, ihnen beim ersten Trotzanfall eine runter zu hauen, sie ohne Helm neben einer Straße bergab Radfahren zu lassen, sie stundenlang schreien zu lassen, weil ich telefonieren oder fernsehen oder ausgehen will, sie zum Schwimmen lernen ins Wasser zu schubsen, sie ungeschützt unterm Ozonloch Hautkrebs kriegen zu lassen, ihnen mit 12 die erste Zigarette zuzustecken, sie sich so lange streiten zu lassen, bis sie bluten, ihnen unbequeme Schuhe und kratzende Mützen zu kaufen, sie mit einer Woche abzustillen, sie beleidigen zu lassen, sie hässlich anzuziehen, sie sich ständig selbst zu überlassen, sie unangschnallt ohne Kindersitz im Auto mitfahren zu lassen, weil uns das in den Siebzigern oder Achtzigern alles auch nicht geschadet hat. Doch, hat es.

Ihr seid enttäuscht, weil all Eure Freunde vorher den modernen Kinderheckmeck auch doof fanden und es nun selbst wie alle anderen machen? Gut, ich bin auch enttäuscht. Davon, dass manche von Euch am Telefon gnadenlos weiterreden, wenn im Hintergrund eins meiner Kinder weint. Ihr findet, es müsse sich schließlich auch zurücknehmen können, wenn Mama mal telefonieren will. Musstet Ihr als Kind ja schließlich auch. Liebe Leute, da wart Ihr 8 und nicht zwei! Als Ihr zwei wart, hat Eure Mutter nämlich mit niemandem tagsüber telefoniert, das war nicht üblich. Überhaupt telefonieren. Ich soll nicht immer von meinen Kindern erzählen? Warum nicht? Ich habe heute und gestern und vorgestern viel Zeit mit ihnen verbracht und viel Energie, sie beschäftigen mich. Früher hat Euch auch interessiert, was mich beschäftigt. Mich interssiert auch, wie es Euch geht und Politik und Kultur im Übrigen auch. Auch, wenn ich nicht mehr so oft ins Kino gehen kann! Übrigens, deswegen kommen meine Kinder auch in Facebok vor. Die Idee von Facebook ist, sich über sein Leben öffentlich auszutauschen, das kann man mögen oder nicht. Ihr postet Eure Fernreisenfotos, Autos, neue Schuhe und Anderes, ich poste Sachen über meine Kinder und Anderes. Soll ich so tun, als hätte ich keine? Warum?!

Und ja, ich lebe mit Kindern in einer Großstadt. Das ist nicht immer einfach für alle. Nein, es ist nicht schön, wenn mehrere Muttis nebeneinander ihre Kinderwagen schieben und keinen Platz machen. Mich stört das auch, natürlich. Mich stört jeder Mensch, der rücksichtslos ist. Meine Beobachtungen haben ergeben, dass das auch auf manche Menschen ohne Kinder zutrifft. Sie hauen mir die Tür ins Gesicht, brüllen mir ihr Privatleben ins Ohr, nehmen mir die Vorfahrt oder latschen auf den Radweg. Und wisst Ihr was? Es gibt auch rücksichtsvolle Mütter, ganz im Ernst! Sie bedanken sich, wenn man ihnen Platz macht und bemühen sich, dass alle zurecht kommen. Sie entschuldigen sich, wenn sie zu ausladend sind. Und ganz ehrlich: Ja, eine Mutter mit einem Kinderwagen sollte möglichst noch Platz in einem Bus finden. Rückt einfach zusammen und haltet Eure Klappe. Das habt Ihr früher auch gemacht, bevor Eure Freunde Kinder gekriegt haben, ich auch.

Und noch was: Ihr seid genervt, weil es so schwierig ist, Eltern zu treffen? Weil die morgens arbeiten und nachmittags ihre Kinder betreuen und abends zu müde sind? Stellt Euch mal vor, ich bin davon auch oft genervt! Aber so ist es eben mit kleinen Kindern und so war es schon immer. Sie kosten Zeit und Kraft und Ihr müsst dafür ein bisschen Platz machen. Ihr fehlt mir trotzdem! Ich würde mich freuen, wenn ich mehr Besuch von Euch bekäme. Auch wenn ich zwischendruch mal nen Schnuller stecken muss oder früh müde werde. Wenn Ihr mal Kinder habt, sind meine vielleicht größer und dann komme ich zu Euch. Und wenn Ihr keine kriegt, komme ich auch.

Ach, und zu den Vätern, die Euch Männer plötzlich so nerven, weil sie ihre Babys im Tragetuch tragen und bei der Geburt dabei waren und davon erzählen, womöglich emotional. Ihr wolltet doch nie so werden, wie Eure eigenen Väter! Die sich erst viel zu spät für Euch interessiert haben und die ganze Erziehung Euren Müttern überlassen haben. Die sich beschwert haben, weil Eure Mütter im Wochenbett die Hemden nicht pünktlich gebügelt und die Haare nicht ordentlich onduliert hatten. Die Ihr nie habt weinen sehen. Jetzt sind sie da, die beteiligten, gefühlvollen Väter und wisst Ihr was? Das ist ein Schritt nach vorne! Es ist alles noch nicht perfekt, alle müssen noch ein bisschen üben, aber es wird besser, ist doch toll!

Und zu guter letzt: Früher saßen wir alle im selben Boot und nun verraten wir Eltern unsere alten Ideale? Ach was. Darüber haben wir schon mit 14 geschimpft, wenn der oder die erste plötzlich mit jemandem ging. Und darüber werden wir mit 90 noch schimpfen, wenn Stefan plötzlich doch ins Altersheim geht und es gar nicht so schlecht findet. Oder wenn Martin den Führerschein abgibt, obwohl er das nie wollte. Ja, Menschen ändern sich. Sie können sich trotzdem mögen.

Wollen wir uns vertragen?

PS: Wir haben niemals mit 5 Jahren stundenlang allein in all den vielen riesigen Wäldern der siebziger Jahre gespielt und sind mit Kirchengeläut nach Hause gekommen. Da waren wir mindestens 10. Wenn überhaupt. Ich persönlich hatte nie eine Seifenkiste und nie ein Baumhaus. Und so viele einsame Feldwege mit Bäumen zum Draufklettern und Schmetterlingen zum Fangen und Grashalmen zum Draufpfeifen gab es auch nicht. Das war bei Astrid Lindgren und Mark Twain.

Ihr Spießer!


Ich weiß gar nicht, ob dieses Wort unter den jungen Leuten von heute noch gebräuchlich ist. Zu meiner Jugendzeit gehörte es zum Alltagsrepertoire und bezeichnete alle Menschen, die in festgefahreren Bahnen lebten, die das taten was alle taten und Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen waren, hauptsächlich die eigenen Eltern. Es war damals ziemlich leicht, kein Spießer zu sein. Im Wesentlichen reichten dafür ein langer Pony, eine Antiatomkrafthaltung und ein absichtliches Loch in der Hose. Wenn man dazu noch jemanden persönlich kannte, der Rastalocken hatte oder Greenpeaceaktivist war, war die Sache geritzt. Heute ist es ungleich schwieriger, kein Spießer zu sein. Ich persönlich jedenfalls habe darin total versagt.

Ich bin Mutter von 2 Kindern und Besitzerin eines Chariot Fahrradanhängers inklusive Säuglingsschale für den Kleinen. Ich verwende einen Ergo Carrier in den Farben black und camel, um meine Kinder vor dem Bauch zu transportieren. Meine Tochter wird bald eines dieser Laufräder erhalten, mit denen heutzutage Kleinstkinder durch den Straßenverkehr sausen. Angeblich lernen sie Radfahren dann mit 3 Jahren innerhalb eines Tages. Ich habe gegen jedes Wehwehchen passende Globuli im Schrank und vefüttere sie großzügig. Ich plane exotische Reisen mit den Kindern, damit ich mich weiterhin persönlich entfalten kann. Jeden Entwicklungsschritt meiner Kinder halte ich digital fest und teile ihn in sozialen online Netzwerken mit der halben Welt, auch mit denen, die an meinen Kindern kein Interesse haben. Ich besuche PEKiP-Kurse, arbeite in verantwortungsvoller Position in Teilzeit und stille meinen Sohn wo ich gerade gehe und stehe. Ich mag Bionade und Bio überhaupt und Café Latte. Ich habe ein Smartphone. Und verheiratet bin ich auch noch! Kurz, ich bin wahnsinnig angepasst. Mehr geht nicht, ich mache fast jeden Schnickschnack mit. Heutzutage ist Bio spießig und digital ist spießig, Cafés sind spießig und sanfte Kindererziehung sowieso. All dies gilt als verspannt, überkandidelt und irgendwie opportun. Dass ich immernoch gegen Atomkraft bin und auch gegen die Äußerungen von Herrn Sarrazin, hilft überhaupt nichts! Nicht mal, dass unsere Familie kein Auto hat, sondern Carsharing-Mitglied ist, rettet mich aus der Spießerecke, das ist nämlich, wie ich jüngst gelesen habe, ein Trend, so ein Mist.

All die Gegner meines Lebensmodells rufen mir und meiner Peer Group zu: „Entspannt Euch! Verweichlicht Eure Kinder nicht! Macht Eure Smart-, I- und sonstigen Phones aus! Trinkt Leitungswasser! Ihr braucht den ganzen Quatsch nicht, damit wird doch nur einer verantwortungslosen, gewinnstrebenden, seelenlosen Industrie in die Hände gespielt!“ Diese Menschen sind gegen aktuelle Kindertransportbehälter aller Art, gegen Biolebensmittel, gegen moderne Kommunikationsformen, gegen moderne Erziehungsideen, gegen Kitas, gegen Straßencafés und übrigens auch gegen Sonnenbrillen. So, Ihr Lieben, und was schlagt Ihr vor? Soll ich Hühner im Kinderzimmer züchten, damit die Kinder wieder einen natürlichen Kontakt zu Lebensmitteln erhalten? Oder mit ihnen gemeinsam ein selbstgezogenes Schwein schlachten? Soll ich auf dem Flohmarkt einen riesigen, nostalgischen Kinderwagen kaufen, mit dem ich nichtmal bei Penny ums Regal fahren kann? Soll ich sie im Sommer einfach mal ins Wasser schmeißen, damit sie schwimmen lernen? Soll ich bis zum Schuleintritt des letzen Kindes allein zu Hause sitzen, ein Kind nach dem anderen bekommen und im Dunkeln in der Ecke heimlich stillen, damit auch mein Mann nicht von einem Busenblitzer belästigt wird? Soll ich ihnen mit 3 Monaten Kuhmilch einflößen und alsbald dem Fläschchen einen Schluck Rotwein zur Beruhigung beimischen? Soll ich mir ein Telefon mit geringelter Schnur am Hörer kaufen, so eines, das man nie rechtzeitig erreicht hat? Soll ich ein Kännchen Kaffee mit Milch und Würfelzucker mit Horoskop drauf bestellen? Ach nee, ich geh ja als junge Mutter gar nicht aus, ich koch meinen Kaffee zu Hause mit Porzellanfilter.

Und wenn mir mal die Hand ausrutscht, soll ich dann sagen, „das hat uns früher auch nicht geschadet“?, Ihr – Ihr… Spießer, Ihr!

Bellende Hunde


Ich finde es erstaunlich, dass sich nicht mehr Menschen gegenseitig umbringen. Verbringe ich einen Tag gehäuft an öffentlichen Orten mit vielen Menschen, begegnet mir so viel Aggression, dass ich mir abends selbst die Schultern massieren muss, um mich zu trösten. Meine nähere Umgebung ist quasi voll von Kriegsfronten, verhärteten Parteien, die um irgendwas kämpfen, ich nehme an, um Territorium. Oder Kulturgut. Oder Sexualpartner, was weiß ich.

Zum Beispiel vorgestern im Bus, ich fuhr mittags mit Kinderwagen mit dem 15er, der um diese Zeit immer knallvoll ist. Kinderwagenmuttis im Bus bilden eine eingeschworene Gemeinschaft, da alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben, das schweißt zusammen. Das äußert sich unter Anderem darin, dass man sich zur Not an die Schlaufen unter der Decke hängt, damit auch der fünfte Kinderwagen noch hineinpasst, denn jede kennt die Schmach, im Regen mit hungrigem Kind und müden Füßen nicht mehr mitgenommen zu werden, weil der Bus voll ist. Und genau so war es vorgestern. Wir waren schon zu viert im Mittelraum des Busses, in den Gängen schlugen sich die Fahrgäste gegenseitig die Taschen in die Hüften und die, die saßen, hatten den Po eines Stehenden im Gesicht, und dann kam Mutti Nummer 5. Wir vier machten uns bereit, klemmten unsere Wagen an- und ineinander, hielten die Luft an und signalisierten ein Herzlich Willkommen-Komm rein-Passt schon. Und es passte auch, es passt immer irgendwie.

Etwas an diesem Vorgang rief die gegnerische Partei auf den Plan, es ist die Partei der  Kinderwagenhasser. Diese ist ebenfalls eine eingeschworene Gemeinschaft, da auch ihre Mitglieder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Zum Beispiel gehen sie gemütlich Arm in Arm mit ihrer neuen Eroberung Bummeln und kriegen plötzlich einen Kinderwagen in die Hacken. Wenn sie sich umdrehen, sehen sie zwei schnatternde, Kinderwagen schiebende Muttis nebeneinander, die sich keinen Milimiter zur Seite bewegen und nur kurz unwillig gucken, weil sie nicht genug Platz haben, und das obwohl sie vor einigen Monaten unter Schmerzen die Rentenverischerungsbeiträge für alle auf die Welt gebracht haben. Das Pärchen muss sich also auf Zehenspitzen seitwärts ans Schaufenster klemmen und warten, bis der Treck vorbeigezogen ist.

„Dass die mit dem Kinderwagen nicht draußen geblieben ist, versteh‘ ich nicht“, pöbelte also ein Kinderwagenhasser in den Bus hinein, ohne die Betroffene anzusehen. Die Luft knisterte. „Wir schmeißen DICH gleich raus!“, nahm eine Mutti den Fehdehandschuh auf. Ich sah in ihr Gesicht und wusste, nur ihre Erziehung hielt sie von der Begehung eines Mordes ab. Knapp. Ich überlegte kurz, ob ich eine Maßnahme ergreifen musste, zum Beispiel mich flach mit meinem Kind auf den Boden legen oder die Busscheibe mit dem Nothammer einschlagen oder 112 rufen. Da merkte ich, dass die wütende Kinderwagenmutti, die übrigens gar nicht gemeint war, nicht wusste, wer gesprochen hatte. Genausowenig, wie der Kinderwagenhasser wusste, wer so rüde geantwortet hatte. Daher konnten sie also nicht aufeinander losgehen, die Gefahr eines Krieges mit mehreren Toten war fürs erste gebannt. Beide schimpften zwar noch eine Weile vor sich hin, aber wir kamen alle unversehrt an unseren Zielorten an.

Hierzu mache ich mir mehrere Gedanken, einer beinhaltet das Erstaunen, dass diese Drohgebärden in den meisten Fällen doch noch friedlich enden, obwohl sie das Potenzial zu Mord und Totschlag hätten. Müssen wir am Ende froh sein, dass wir so WENIGE Kriege auf der Welt haben, weil der überwiegende Teil der Menschheit so erzogen ist, dass man möglichst niemanden umbringt? Oder haben wir so VIELE Kriege auf der Welt, weil man all diese Menschen zu irgendwelchen Interessengemeinschaften zuordnen und dann als Kriegsunterstützer verwenden kann, weil diese Aggressionen dem Menschen per se innewohnen und beliebig genutzt werden können?

Dann wandern meine Gedanken ins Tierreich. Dort gibt es vielfältige Formen von Drohgebärden, das heißt Tiere signalisieren, dass das gegnerische Tier etwas tun oder unterlassen soll, da es ansonsten damit rechnen muss, zerfetzt zu werden. Dies dient, soweit ich informiert bin, im weitesten Sinne zur Erhaltung der Art. Muss also der Kinderwagenhasser in den Bus pöbeln, um zu signalisieren, dass er sich von zu vielen Kinderwagen in seiner unmittelbaren Nähe bedroht fühlt? Und muss die Kinderwagenmutti mit einer noch expliziteren Drohung reagieren („wir schmeißen DICH gleich raus!“), damit sie und ihr Kind langfristig überleben können? Dieser Gedanke wiederum macht mich insofern etwas stutzig, als dass ich selbst diesen Instinkt überhaupt nicht habe. Zwar fühle ich mich durchaus verschiedenen Gruppen zugehörig, aber nichts läge mir ferner, als meine Zugehörigkeit auf diese Weise zu signalisieren. Nicht eine Sekunde war ich versucht, einzugreifen, schließlich erinnere ich mich gut an meine Zeit ohne Kinderwagen am Schaufenster klemmend. Bin ich degeneriert? Domestiziert? Verklemmt? Ignorant? Suizidal? Wäre die Menschheit längst ausgestorben, bestünde sie aus Individuen wie mir? Oh mein Gott.

Ach was, das ist alles viel harmloser, bellende Hunde beißen ja nicht.

Gluckenmuttis


Natürlich habe ich Angst davor, dass meiner Tochter etwas zustößt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, hier eine ordentliche Neurose zu entwickeln. Als sie ein paar Wochen alt war, wollte ich zum Beispiel alle Steckdosen in der Wohnung absichern. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt weder Krabbeln noch sonstwie eine Steckdose erreichen, aber mir war danach. Schon jetzt mache ich mir Gedanken darüber, wie meine heute 10 Monate alte Tochter jemals die viel befahrene, unübersichtliche Kreuzung nahe unserer Wohnung meistern soll. Eventuell wird sie erst kurz vor dem Abitur allein zur Schule gehen dürfen. Aber meine allergrößte Angst im Rahmen des Mutterdaseins hat mit den Gefahren, denen meine Tochter Tag für Tag ausgesetzt ist, nichts zu tun. Sondern mit mir. Genauer, mit den anderen Müttern. Ich schließe hier bewusst die Väter aus, denn trotz aller Emanzipation sind Mütter Glucken und Väter nicht, da kann man mir sagen, was man will.

Gestern rief mich meine Freundin an, die mit den zwei Kindern, 8 und 10. Sie erwartet Besuch von Jugendamt, das ihr eine dieser aufgebrachten Gluckenmütter auf den Hals schicken will. Da meine Freundin in vielerlei Hinsicht sozial engagiert ist und in diesem Zusammenhang eine freundschaftliche Verbindung zur örtlichen Jugendamtchefin pflegt, war sie wenig besorgt. Aber sie konnte vor Fassunglosigkeit kaum sprechen, als sie mir davon erzählte. Der Grund für die Drohung war eine Pokémon-Karte. Wem es nicht geläufig sein sollte, Pokémon ist ein Universum verschiedener Charkatere, die man unter Anderem als Karten sammeln kann. Kinder zwischen 6 und 12 sammeln und tauschen heutzutage Pokémon-Karten.

Der Sohn meiner Freundin war nun im Besitz einer Pokémon-Karte, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren. Und zwar gehörte sie eigentlich dem Sohn der Gluckenmutter. Jetzt wird der Fall verzwickt, also: Die achtjährige Tochter meiner Freundin hatte die Karte unrechtmäßig in ihren Besitz genommen und weiter getauscht, und zwar mit einem gemeinsamen Freund der beiden Geschwister. Dieser wiederum tauschte sie mit dem Sohn meiner Freundin. Von diesem forderte der Ursprungsbesitzer, der Sohn der Gluckenmutter, die Karte zurück. „Nö“, sprach der Sohn meiner Freundin, „die hab ich eingetauscht, die gehört mir“.  Juristisch finde ich das gar nicht so einfach. Ich sehe auf jeden Fall den Tatbestand der Unterschlagung als gegeben, und zwar durch die Schwester des Angeklagten. Sollte der gemeinsame Freund, der die Karte mit dem Sohn meiner Freundin getauscht hatte, davon Kenntnis gehabt haben, hätte dieser sich wiederum der Hehlerei schuldig gemacht. Zweifelsfrei ist der Sohn meiner Freundin freizusprechen. Das sah der Ursprungskartenbesitzer anders, er kam heulend nach Hause und beschwerte sich bei seiner Mutter, dass der böse Sohn meiner Freundin seine Pokémon-Karte nicht herausgeben will. Daraufhin fuhr die Gluckenmutter zur Schule, baute sich vor dem Sohn meiner Freundin auf und machte diesen zur Schnecke. Der ließ sich davon wenig beeinrucken, er kann durchaus beurteilen, wann er im Recht ist und in solchen Fällen lässt er sich von Erwachsenen nicht die Butter vom Brot nehmen. Er argumentierte sauber und klärte die Situation höflich, aber bestimmt. Das machte die Gluckenmutter, die deswegen Gluckenmutter ist, weil sie sonst wenig zu melden hat im Leben, rasend. Sie stieß wüste, Gewalt enthaltende Drohungen gegen den Sohn meiner Freundin aus und an dieser Stelle fand meine Freundin, sie müsse nun doch einschreiten. Sie rief die Gluckenmutter an und verbat sich, dass diese ihren Sohn bedroht. Im Laufe des Gesprächs kam dann der oben beschriebene Tatbestand zur Sprache und die Gluckenmutter wollte ernsthaft mit meiner Freundin über die Rechtmäßigkeit des Kartenbesitzes argumentieren. Und nun war meine Freundin fassungslos. Ihr sind die Probleme, die sich im Rahmen von Sammelkarten ergeben, völlig wurscht, sie mischt sich in sowas nicht ein. Abgesehen davon, dass sie ihre Kinder alt genug findet, um solche Konflikte allein auszutragen, interessiert sie sich für Pokémon-Karten nicht und möchte in Details nicht involviert werden. Ich finde das gesund.

So, nun wisst ihr, warum ich Angst vor anderen Müttern habe. Himmel nochmal, liebe Gluckenmuttis, stellt Euch doch einfach mal vor, ihr hättet 8 Kinder, einen Hof, 2 Hunde und vier Katzen sowie einen hungrigen Ehemann.

Vielleicht sollte ich schnell noch Jura studieren, um wenigstens gut vorbereitet zu sein.

PS: Gab es diese Mütter früher auch schon? Oder ist das ein Auswuchs unserer übersättigten Zivilisation? Oder darf man diese Frage gar nicht stellen, weil sie eine „Früher-war-alles-besser“-Attitüde enthält?

Sexuelle Aufklärung – ein Praxisbericht


Der zehnjährige Sohn meiner Freundin wird nun in der Schule sexuell aufgeklärt. Um diese Tatsache in seiner ganzen Tragweite genießen zu können, muss man Folgendes wissen: Erstens, der Sohn ist äußerst intelligent und lässt sich mit oberflächlichen, kindgerechten Erklärungen niemals abspeisen. Zweitens, meine Freundin ist ein Freigeist. Als den Kindern angekündigt wurde, dass in den nächsten Wochen Aufklärung auf dem Stundenplan steht, wurde dies vorab innerfamiliär diskutiert. Das Intro ging so:

Sohn: „Also bezüglich Abtreibung halte ich es ja mit dem Papst.“
Mutter:  „Äh – ach so. Aber Du weißt doch, was Vergewaltigung ist?“
Sohn: „Klar weiß ich das. Aber es ist ja nicht die Schuld des ungeborenen Kindes, dass es einer Vergewaltigung entspringt. Jedes Leben ist es wert, gelebt zu werden. Das solltest Du doch wissen!“

Das nächste Thema, das ihm unter den Nägeln brannte, war eher praxis-orientiert:

Sohn: „Wie haben eigentlich Lesben Sex?“
Mutter: „Also, naja, hauptsächlich mit den Fingern.“
Sohn: „Igitt, das ist ja eklig.“
Mutter: „Das ist nicht eklig. Frauen, die lesbisch sind, haben Freude daran.“
Sohn: „Kennst Du eigentlich jemanden, der schwul ist?“
Mutter: „Ja, na klar. Martin zum Beispiel.“
Sohn: „Waas? Hätte ich ja nicht gedacht.“
Mutter: „Man siehts den Leuten doch nicht an, ob sie Männer oder Frauen als Partner lieber mögen.“

Dann wurde es ganz konkret:

Sohn: „Mama, wie fühlt sich ein Orgasmus an?“
Mutter: „Das ist ein sehr schönes Glücksgefühl, es kribbelt am ganzen Körper.“
Sohn: „Hat man deswegen auch Sex, obwohl man gar kein Kind haben will?“
Mutter: „Genau.“
Sohn: „Aber wenn das so schön ist, was ist dann daran schlimm, wenn ich im Internet Pornos anschaue?“ (Anm.: Das war vorgekommen, als der Sohn 8 war. Als meine Freundin unerwartet das Zimmer betrat, deckte er die Brüste auf dem Bildschirm schnell ab.)
Mutter: „Weil ich möchte, dass Du erst Deine eigenen Erfahrungen sammelst. Dann kannst Du immer noch hinterher einen Porno anschauen. Wenn Du das vorher machst, hast Du wahrscheinlich ganz falsche Vorstellungen und kannst es dann gar nicht so genießen.“

Überflüssig zu erwähnen, dass meine Freundin sich durchaus fragte, ob dieses Gespräch noch im angemessenen Rahmen verlief. Aber sie folgte tapfer ihrer Strategie, Fragen, die gestellt werden, auch zu beantworten, so hatte sie es von Anfang an gehalten. Es folgte dann ein Ausflug in die Thematiken Eisprung, Menstruation (es wurde ein Tampon im Wasserglas aufgeschwemmt, der Sohn war sehr beeindruckt) und Verhütung. Kondomen steht der Sohn nicht sehr offen gegenüber, er hat Angst, dass es nicht so viel Spaß machen könnte. Vor Aids hat er keine Angst, denn er sucht sich sowieso eine Frau, die ganz sicher treu ist.

Sohn: „Mama, hast Du mal ein Kondom?“
Mutter: „Ähem, ich muss mal eben nachschauen. Wir, also der Papa und ich, verwenden ja keine Kondome.“
Sohn: „Klar, warum auch, Du hast ja die Spirale.“

Woher er dies nun wieder wusste, entzog sich ihrer Kenntnis und sie fand jetzt auch, das Thema sexuelle Aufklärung hätte für diesen Tag genug Raum eingenommen. Schließlich hatte der Schulunterricht ja noch nicht einmal begonnen.

Meine Liebe, Du hast Dich wacker geschlagen. Mach Dir keine Sorgen, das mit dem Papst wächst sich zurecht.

Der arme Taxifahrer


So. Meine Tochter wird nun um 8 ins Bett gebracht und schläft dann 12 Stunden. Das macht mein Leben besser, unter Anderem kann ich wieder in meinen Blog schreiben, da ich mehrere Gedanken nacheinander fassen und notieren kann. Außerdem kann ich nun abends wieder ausgehen, denn einen Notfallschnuller kann ja jeder mal in das Kind stopfen, falls es aufwacht. Diese neu gewonnene Freiheit brachte mich gestern auf die Weihnachtsfeier meiner Firma. Mit dem Taxi. Über den Taxifahrer, der die Hausnummer am falschen Ende der Straße wähnte und deshalb einen Riesenumweg fuhr, für den er statt sich bei mir zu entschuldigen die arme Straße verantwortlich machte, weiß ich nun Folgendes:

  • Seine Mutter liegt im Sterben
  • Sein Sohn ist 17 und missraten
  • Das liegt an seiner fürchterlichen Exfrau, die ihm alles durchgehen lässt. Sogar, dass er die Schule nun ohne Abschluss verlässt, obwohl er einmal ein guter Gymnasiast war.
  • Sie ist auch Schuld daran, dass der Junge die falschen Freunde hat. Dafür hat er nämlich ein Händchen. Deswegen nimmt er nun Drogen und muss von Polizeiwachen abgeholt werden.
  • Im Krankenhaus um die Ecke hat er ein Praktikum gemacht, ist aber rausgeflogen, weil er ausnahmsweise einmal den Rat seines Vaters befolgt hatte (zeige Interesse!) und ständig in die Visite hineinquatschte. Das kann ja auch nichts werden.
  • Eigentlich hat der Sohn bei seiner Mutter gelebt aber die ist nun einfach weggezogen. Er, der Taxifahrer, muss nun auslöffeln, was sie alles vermasselt hat.
  • Ganz spontan und ohne Vorankündigung hat ihn heute auch noch seine Freundin verlassen und ist lesbisch geworden.

Lieber Taxifahrer, ich möchte Dir zurufen:

  • Dein Sohn ist ganz prima, jeder normale Mensch gerät unter solchen Umständen ins Wanken!
  • Wenn Du an Deinen Sohn nicht glaubst, wird er noch 1000 mal irgendwo rausfliegen. Aber gut, dass Du selbst es so wahnsinnig weit gebracht hast! Sicher ist Dein Sohn ganz neidisch auf seinen Super-Vater!
  • Es ist nicht der Fehler der Straße, dass Du keine Ahnung hast, wo Nummer 53 ist und von welcher Seite man heranfahren muss. Es ist Dein Job, dies zu wissen oder rechtzeitig herauszufinden. Ich bezahle Dich dafür.
  • Das mit Deiner Mutter tut mir Leid, vermutlich ist sie der letzte Mensch auf Erden, der Dich liebt.
  • Ich glaube, wenn ich längere Zeit mit Dir zusammen wäre, würde ich durchaus auch mit dem Gedanken spielen, meine lesbische Seite zu entdecken. Vorsichtshalber.

Ein bisschen was davon habe ich ihm gesagt, zum Beispiel dass er an seinen Sohn glauben soll. Ich fand, der arme Junge brauchte einen Fürsprecher und ein bisschen Super Nanny steckt halt auch in mir.

So, und zum Abschluss hier ein Artikel in ZEIT ONLINE über Frankfurter Taxifahrer, er hat für mich etwas Tröstliches. In der selben Rubrik gibt es ein paar Artikel über die Super Nanny. Ich stelle fest, dass mein Leben GANZ dicht dran ist am Puls der Zeit. (Artikel).

„Lass uns doch mal das Sofa umstellen,…


…vielleicht sieht es andersherum besser aus“. So sprach kürzlich mein Freund zu mir. Gesagt getan und siehe da, es sah besser aus. Durch das neue Arrangement wurde unser Couchtisch dann überflüssig, wir konnten unsere Beine woanders ablegen und eine andere Funktion hatte er nicht. Da er im Weg stand, wurde er zunächst ins gegenüber liegende Badezimmer geschoben, bis alle Umräumarbeiten im Wohnzimmer erledigt sein sollten. Wie sich herausstellte, machte sich der Couchtisch im Bad ganz prima, er gab ihm etwas Wärme. Allerdings musste er, damit er hinein passt, direkt über den Rohrvorsprung geschoben werden. Dafür mussten die hinteren Beine abgeschraubt und durch kleine Blöcke ersetzt werden. Hab ich am nächsten Tag dann gemacht, kein Problem, als Blöcke fanden sich zwei eckige Kerzen. Nun war aber die Wäschetruhe über, sie stand, wo nun der Tisch klemmt. Der einzig freie Platz war dort, wo das Handtuchregal stand. Dieses wiederum würde sich ohnehin besser direkt neben dem Klo machen, dort, wo sich eigentlich ein kleines weißes Tischchen befand. Allerdings mussten dafür die Beine des Regals abgesägt werden, sonst wäre es zu hoch gewesen. Dafür wiederum musste in der Handsäge erst einmal das Sägeblatt ausgetauscht werden, das eingelegte war viel zu grob. Es gelang, sogar ohne Verletzung und die Regalbeine wurden abgesägt. Natürlich total schief, aber mit ein paar Fünf-Cent-Münzen darunter fällt es gar nicht auf. Ich war im Rausch. Meine 14 Wochen alte Tochter beäugte das Geschehen mit Erstaunen und verhielt sich vernünftiger Weise ruhig. Sie wusste, dass auch Schreien nichts genützt hätte, ich konnte nicht aufhören. Wir erinnern uns, es war ja nun ein kleines weißes Tischchen übrig. Prima, denn das konnte ich neben mein Bett stellen. Dort stand vorher ein anderer Tisch, aber den konnte ich gut als Ablage für meinen Drucker gebrauchen, ich hatte schon lange überlegt, wo ich ihn drauf stelle. Wurde flugs erledigt, aber es fehlte eine Steckdose für den Drucker. Null Problemo, denn unterm Bett befand sich ein Sechsfachstecker, der dort eigentlich nicht notwendig war. Nachdem dieser heraus geangelt und der dabei entdeckte Schmutz beseitigt war, konnte umgeräumt werden. Damit war es dann vollbracht. Völlig ermattet sank ich abends auf das Sofa und platze fast vor Stolz, all diese Dinge trotz Säugling geschafft zu haben. Ich fand, die Wohnung sah Alles in Allem ein kleines bisschen besser aus als vorher.

Wenn man mir, als ich 15 war, erzählt hätte, dass ich jemals so viel Energie für die Veränderung einer Dreizimmerwohnung aufbringe statt in die Verbesserung der Welt – ich weiß nicht, ob ich weiter gemacht hätte. Mal sehen, morgen hänge ich ein Poster ab.

Demenzgrenze


Einige Zeit vor und nach der Geburt eines Kindes ist die Mutter geistig ein bisschen minderbemittelt. In meinem Fall äußert sich das zum Beispiel in akuten Wortfindungsschwierigkeiten („Wir brauchen noch so eine Baby… Wasch…wie heißt das – Babybadewanne.“) Gern decke ich auch den Tisch für 4 obwohl wir nur 3 sind. Außerdem trage ich immer ein kleines Notizbüchlein mit mir, in dem ich alles notiere und ich meine wirklich alles. Was nicht notiert wird, findet nicht statt. Da ich diese Tendenz immer schon hatte, denke ich zumindest daran, das meiste aufzuschreiben. Denkwürdig war auch die Aktion mit dem Mikrowellen-Fläschchen-Sterilisator. Der ist toll, einfach Fläschchen rein, bisschen Wasser dazu und ab in die Mikrowelle. Hab ich trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit bis dahin geschafft, aber dann hab ich den falschen Knopf an der Mikrowelle gedrückt und als Folge schmolz das ganze Ding in organischen Formen in sich zusammen und nahm dabei die Fläschchen gefangen, die ich im Anschluss wieder herausflexen musste.

Aber, und hier spreche ich die Marketingabteilung von Alnatura, Abteilung Dinkelkekse an: ich bin nicht vollends verblödet, es gibt eine Grenze meiner Demenz! Und zwar: Vorne auf der Packung sind löblicherweise einige Nährwertangaben notiert, damit man einen Überblick behält, was man zu sich nimmt. Eine Tüte Kekse beinhaltet 150 g. Naheliegend wäre, die Nährwertangaben pro Tüte aufzuschreiben, denn man weiß ja ungefähr, ob man eine halbe oder eine viertel oder eine ganze Tüte isst. Alnatura Marketingfachleute haben sich aber überlegt, die Angaben pro Portion aufzuschreiben. Eine Portion habe 25 g. Liebe Leute, wie um alles in der Welt kommt Ihr auf die Idee, dass eine Portion Dinkelkekse aus 25 g besteht?! Und wie stellt Ihr Euch vor, dass ich den tatsächlichen Verzehr berechne? Die Kekse der Tüte durchzählen und flugs per Dreisatz berechnen, wie viel Keks 25 g entspricht, wenn die Menge aller Kekse = 150 g ist? Seid Ihr bescheuert?!

Ergänzend zur Demenzthematik möchte ich noch eine gesellschaftspolitische Überlegung aufschreiben. Altersdemenz ist ja ein wachsendes Problem in einer überalternden Gesellschaft und findet derzeit viel mediale Beachtung. Die Gesellschaft überaltert, weil zu wenig Kinder geboren werden, während die vorhandenen Menschen immer älter werden. Unter Anderem deshalb sollen die Frauen wieder mehr Kinder kriegen. Ich möchte nur erwähnt haben, dass dann aber mehr Frauen eine längere Zeit ihres Lebens unter Schwangerschafts- und Stilldemenz leiden und das Problem somit lediglich zeitlich nach vorn verlagert wird. Nicht, dass es hinterher wieder heißt, keiner hätt was gesagt.