Nein Danke.


Habt Ihrs gemerkt? Es gibt eine neue Bedrohung in Deutschland. Eigentlich gibt es sie schon seit mehreren Jahrzehnten, aber irgendwie fiel es am Anfang nicht auf, dass so viele von ihnen bei uns leben. Die Warner der ersten Stunde hat man überhört, und dann hat man sich doch an sie gewöhnt. Und jetzt plötzlich sind sie allgegenwärtig, man sieht sie in jeder U-Bahn, sie unterwandern deutsche Klassenzimmer – in manchen Klassen sind sie schon in der Überzahl, besonders in Großstädten! – sie sind mehr und mehr in der deutschen Fernsehlandschaft präsent und manche leiten sogar Jugendfreizeiten oder sind Lehrer!

Aber was für Menschen verbergen sich eigentlich dahinter? Ein Deutungsversuch: Sie kaufen meistens im kleinen Eckladen ihr Gemüse ein und ansonsten in den großen Discountern. Naja, die meisten von ihnen gehören eben nicht der Wirtschaftselite an. Oft sind sie etwas nachlässiger gekleidet, als der deutsche Durchschnitt. Warum? Allein mit mangelnden ökonomischen Mitteln ist das nicht zu erklären, steckt vielleicht ein mangelnder Respekt gegenüber sich selbst und damit auch gegenüber ihren Mitmenschen dahinter? Ignoranz gegenüber den Gepflogenheiten ihres Umfeldes? Ah, apropos Ignoranz, sehr häufig sind sie äußerst verschlossen gegenüber Andersdenkenden. Mit ihnen zu diskutieren ist kein Vergnügen, ich würde sagen, ihnen haftet oft etwas Missionarisches an. Ich meine, beobachtet zu haben, dass das insbesondere für Männer gilt, aber da bin ich nicht so sicher, ich will nicht stigmatisieren, immerhin sind es ja auch Mitbürger meines Landes, meistens jedenfalls.

Besonders gefährlich finde ich die Tatsache, dass sie inzwischen die bürgerliche Klasse erreicht haben. Viele von ihnen haben studiert und leben angepasster, als noch die Generation davor. Dadurch steigt ihr Einfluss auf die deutsche Gesellschaft natürlich erheblich, und hat nicht die Geschichte immer wieder gezeigt, dass an dieser Stelle die tatsächliche Gefahr beginnt? Müssen wir nicht alle aufhorchen und wachsam sein und immer ein Auge darauf haben, dass unsere kulturellen, gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Grundwerte gewahrt bleiben? Gerade jetzt, wo auch Menschen mit Macht und Einfluss unter ihnen sind?

Tja, die deutschen Grundwerte, darüber herrscht natürlich keine Einigkeit, nicht mal die Verfassung ist noch sicher. Aber ein paar Prinzipien teilen wir ja wohl alle: Hier in Deutschland ist man gesittet und zivilisiert. Dazu gehört, dass man nicht immer gleich lauthals lospoltert, man tut seine Meinung mit ruhiger Stimme und eher im Verborgenen kund, zum Besispiel bei einem gepflegten Glas Wein in einer Kneipe oder zu Haus. Keinesfalls auf der Straße, das belästigt nämlich alle anderen, die vielleicht gerade ihre Ruhe haben wollen. Außerdem sind wir ein ehrgeiziges Volk, das ist nunmal so. Wir wären nicht, wo wir heute sind, wenn nicht alle mit angepackt hätten, damals, nach Fünfundvierzig. Wenn wir unsere wirtschaftlichen Interessen nun wieder aus den Augen verlören, es dauerte nicht lang, und wir könnten uns verabschieden von einer führenden Rolle in der EU. Fragt mal die Franzosen, die sehen das genauso! Und immerhin ist unser Sozialsystem abhängig davon, dass wir weiterhin prosperieren, ich sag nur Gesundheitssystem, das geht ja jetzt schon den Bach runter, obacht! Und noch ein Grundwert, oft zu Unrecht belächelt, aber am Ende steht die Mehrheit der Deutschen doch dahinter: Pünktlichkeit. Unser Räderwerk ist ja auch deshalb so effizient, weil man sich verlassen kann. Außerdem hat Pünktlichkeit auch was mit Respekt zu tun. Diese Leute belächeln Pünktlichkeit oft als typisch deutsch und Mitbürger, die Wert darauf legen, werden mit einem verständnislosen Kopfschütteln bedacht, wenn nicht beschimpft, im eigenen Land! Jedenfalls ist das mein Eindruck, wie gesagt, ich will ja nicht stigmatisieren.

Nein, es muss in einem Land, in dem zum Glück Meinungsfreiheit herrscht und in dem sogar Alice Schwarzer in aller Öffentlichkeit für ein generelles Kopftuchverbot plädieren darf, weil sie meint zu wissen, dass dies den muslimischen Mädchen an den Schulen mehr Freiheit ermöglicht, es muss einmal gesagt werden dürfen: Ich fühle mich bedroht, die sprießen ja wie Pilze aus dem Boden, die ganzen Atomkraftgegner.

Ihr Spießer!


Ich weiß gar nicht, ob dieses Wort unter den jungen Leuten von heute noch gebräuchlich ist. Zu meiner Jugendzeit gehörte es zum Alltagsrepertoire und bezeichnete alle Menschen, die in festgefahreren Bahnen lebten, die das taten was alle taten und Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen waren, hauptsächlich die eigenen Eltern. Es war damals ziemlich leicht, kein Spießer zu sein. Im Wesentlichen reichten dafür ein langer Pony, eine Antiatomkrafthaltung und ein absichtliches Loch in der Hose. Wenn man dazu noch jemanden persönlich kannte, der Rastalocken hatte oder Greenpeaceaktivist war, war die Sache geritzt. Heute ist es ungleich schwieriger, kein Spießer zu sein. Ich persönlich jedenfalls habe darin total versagt.

Ich bin Mutter von 2 Kindern und Besitzerin eines Chariot Fahrradanhängers inklusive Säuglingsschale für den Kleinen. Ich verwende einen Ergo Carrier in den Farben black und camel, um meine Kinder vor dem Bauch zu transportieren. Meine Tochter wird bald eines dieser Laufräder erhalten, mit denen heutzutage Kleinstkinder durch den Straßenverkehr sausen. Angeblich lernen sie Radfahren dann mit 3 Jahren innerhalb eines Tages. Ich habe gegen jedes Wehwehchen passende Globuli im Schrank und vefüttere sie großzügig. Ich plane exotische Reisen mit den Kindern, damit ich mich weiterhin persönlich entfalten kann. Jeden Entwicklungsschritt meiner Kinder halte ich digital fest und teile ihn in sozialen online Netzwerken mit der halben Welt, auch mit denen, die an meinen Kindern kein Interesse haben. Ich besuche PEKiP-Kurse, arbeite in verantwortungsvoller Position in Teilzeit und stille meinen Sohn wo ich gerade gehe und stehe. Ich mag Bionade und Bio überhaupt und Café Latte. Ich habe ein Smartphone. Und verheiratet bin ich auch noch! Kurz, ich bin wahnsinnig angepasst. Mehr geht nicht, ich mache fast jeden Schnickschnack mit. Heutzutage ist Bio spießig und digital ist spießig, Cafés sind spießig und sanfte Kindererziehung sowieso. All dies gilt als verspannt, überkandidelt und irgendwie opportun. Dass ich immernoch gegen Atomkraft bin und auch gegen die Äußerungen von Herrn Sarrazin, hilft überhaupt nichts! Nicht mal, dass unsere Familie kein Auto hat, sondern Carsharing-Mitglied ist, rettet mich aus der Spießerecke, das ist nämlich, wie ich jüngst gelesen habe, ein Trend, so ein Mist.

All die Gegner meines Lebensmodells rufen mir und meiner Peer Group zu: „Entspannt Euch! Verweichlicht Eure Kinder nicht! Macht Eure Smart-, I- und sonstigen Phones aus! Trinkt Leitungswasser! Ihr braucht den ganzen Quatsch nicht, damit wird doch nur einer verantwortungslosen, gewinnstrebenden, seelenlosen Industrie in die Hände gespielt!“ Diese Menschen sind gegen aktuelle Kindertransportbehälter aller Art, gegen Biolebensmittel, gegen moderne Kommunikationsformen, gegen moderne Erziehungsideen, gegen Kitas, gegen Straßencafés und übrigens auch gegen Sonnenbrillen. So, Ihr Lieben, und was schlagt Ihr vor? Soll ich Hühner im Kinderzimmer züchten, damit die Kinder wieder einen natürlichen Kontakt zu Lebensmitteln erhalten? Oder mit ihnen gemeinsam ein selbstgezogenes Schwein schlachten? Soll ich auf dem Flohmarkt einen riesigen, nostalgischen Kinderwagen kaufen, mit dem ich nichtmal bei Penny ums Regal fahren kann? Soll ich sie im Sommer einfach mal ins Wasser schmeißen, damit sie schwimmen lernen? Soll ich bis zum Schuleintritt des letzen Kindes allein zu Hause sitzen, ein Kind nach dem anderen bekommen und im Dunkeln in der Ecke heimlich stillen, damit auch mein Mann nicht von einem Busenblitzer belästigt wird? Soll ich ihnen mit 3 Monaten Kuhmilch einflößen und alsbald dem Fläschchen einen Schluck Rotwein zur Beruhigung beimischen? Soll ich mir ein Telefon mit geringelter Schnur am Hörer kaufen, so eines, das man nie rechtzeitig erreicht hat? Soll ich ein Kännchen Kaffee mit Milch und Würfelzucker mit Horoskop drauf bestellen? Ach nee, ich geh ja als junge Mutter gar nicht aus, ich koch meinen Kaffee zu Hause mit Porzellanfilter.

Und wenn mir mal die Hand ausrutscht, soll ich dann sagen, „das hat uns früher auch nicht geschadet“?, Ihr – Ihr… Spießer, Ihr!