Gluckenmuttis


Natürlich habe ich Angst davor, dass meiner Tochter etwas zustößt. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, hier eine ordentliche Neurose zu entwickeln. Als sie ein paar Wochen alt war, wollte ich zum Beispiel alle Steckdosen in der Wohnung absichern. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt weder Krabbeln noch sonstwie eine Steckdose erreichen, aber mir war danach. Schon jetzt mache ich mir Gedanken darüber, wie meine heute 10 Monate alte Tochter jemals die viel befahrene, unübersichtliche Kreuzung nahe unserer Wohnung meistern soll. Eventuell wird sie erst kurz vor dem Abitur allein zur Schule gehen dürfen. Aber meine allergrößte Angst im Rahmen des Mutterdaseins hat mit den Gefahren, denen meine Tochter Tag für Tag ausgesetzt ist, nichts zu tun. Sondern mit mir. Genauer, mit den anderen Müttern. Ich schließe hier bewusst die Väter aus, denn trotz aller Emanzipation sind Mütter Glucken und Väter nicht, da kann man mir sagen, was man will.

Gestern rief mich meine Freundin an, die mit den zwei Kindern, 8 und 10. Sie erwartet Besuch von Jugendamt, das ihr eine dieser aufgebrachten Gluckenmütter auf den Hals schicken will. Da meine Freundin in vielerlei Hinsicht sozial engagiert ist und in diesem Zusammenhang eine freundschaftliche Verbindung zur örtlichen Jugendamtchefin pflegt, war sie wenig besorgt. Aber sie konnte vor Fassunglosigkeit kaum sprechen, als sie mir davon erzählte. Der Grund für die Drohung war eine Pokémon-Karte. Wem es nicht geläufig sein sollte, Pokémon ist ein Universum verschiedener Charkatere, die man unter Anderem als Karten sammeln kann. Kinder zwischen 6 und 12 sammeln und tauschen heutzutage Pokémon-Karten.

Der Sohn meiner Freundin war nun im Besitz einer Pokémon-Karte, deren Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren. Und zwar gehörte sie eigentlich dem Sohn der Gluckenmutter. Jetzt wird der Fall verzwickt, also: Die achtjährige Tochter meiner Freundin hatte die Karte unrechtmäßig in ihren Besitz genommen und weiter getauscht, und zwar mit einem gemeinsamen Freund der beiden Geschwister. Dieser wiederum tauschte sie mit dem Sohn meiner Freundin. Von diesem forderte der Ursprungsbesitzer, der Sohn der Gluckenmutter, die Karte zurück. „Nö“, sprach der Sohn meiner Freundin, „die hab ich eingetauscht, die gehört mir“.  Juristisch finde ich das gar nicht so einfach. Ich sehe auf jeden Fall den Tatbestand der Unterschlagung als gegeben, und zwar durch die Schwester des Angeklagten. Sollte der gemeinsame Freund, der die Karte mit dem Sohn meiner Freundin getauscht hatte, davon Kenntnis gehabt haben, hätte dieser sich wiederum der Hehlerei schuldig gemacht. Zweifelsfrei ist der Sohn meiner Freundin freizusprechen. Das sah der Ursprungskartenbesitzer anders, er kam heulend nach Hause und beschwerte sich bei seiner Mutter, dass der böse Sohn meiner Freundin seine Pokémon-Karte nicht herausgeben will. Daraufhin fuhr die Gluckenmutter zur Schule, baute sich vor dem Sohn meiner Freundin auf und machte diesen zur Schnecke. Der ließ sich davon wenig beeinrucken, er kann durchaus beurteilen, wann er im Recht ist und in solchen Fällen lässt er sich von Erwachsenen nicht die Butter vom Brot nehmen. Er argumentierte sauber und klärte die Situation höflich, aber bestimmt. Das machte die Gluckenmutter, die deswegen Gluckenmutter ist, weil sie sonst wenig zu melden hat im Leben, rasend. Sie stieß wüste, Gewalt enthaltende Drohungen gegen den Sohn meiner Freundin aus und an dieser Stelle fand meine Freundin, sie müsse nun doch einschreiten. Sie rief die Gluckenmutter an und verbat sich, dass diese ihren Sohn bedroht. Im Laufe des Gesprächs kam dann der oben beschriebene Tatbestand zur Sprache und die Gluckenmutter wollte ernsthaft mit meiner Freundin über die Rechtmäßigkeit des Kartenbesitzes argumentieren. Und nun war meine Freundin fassungslos. Ihr sind die Probleme, die sich im Rahmen von Sammelkarten ergeben, völlig wurscht, sie mischt sich in sowas nicht ein. Abgesehen davon, dass sie ihre Kinder alt genug findet, um solche Konflikte allein auszutragen, interessiert sie sich für Pokémon-Karten nicht und möchte in Details nicht involviert werden. Ich finde das gesund.

So, nun wisst ihr, warum ich Angst vor anderen Müttern habe. Himmel nochmal, liebe Gluckenmuttis, stellt Euch doch einfach mal vor, ihr hättet 8 Kinder, einen Hof, 2 Hunde und vier Katzen sowie einen hungrigen Ehemann.

Vielleicht sollte ich schnell noch Jura studieren, um wenigstens gut vorbereitet zu sein.

PS: Gab es diese Mütter früher auch schon? Oder ist das ein Auswuchs unserer übersättigten Zivilisation? Oder darf man diese Frage gar nicht stellen, weil sie eine „Früher-war-alles-besser“-Attitüde enthält?

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