Sexuelle Aufklärung – ein Praxisbericht


Der zehnjährige Sohn meiner Freundin wird nun in der Schule sexuell aufgeklärt. Um diese Tatsache in seiner ganzen Tragweite genießen zu können, muss man Folgendes wissen: Erstens, der Sohn ist äußerst intelligent und lässt sich mit oberflächlichen, kindgerechten Erklärungen niemals abspeisen. Zweitens, meine Freundin ist ein Freigeist. Als den Kindern angekündigt wurde, dass in den nächsten Wochen Aufklärung auf dem Stundenplan steht, wurde dies vorab innerfamiliär diskutiert. Das Intro ging so:

Sohn: „Also bezüglich Abtreibung halte ich es ja mit dem Papst.“
Mutter:  „Äh – ach so. Aber Du weißt doch, was Vergewaltigung ist?“
Sohn: „Klar weiß ich das. Aber es ist ja nicht die Schuld des ungeborenen Kindes, dass es einer Vergewaltigung entspringt. Jedes Leben ist es wert, gelebt zu werden. Das solltest Du doch wissen!“

Das nächste Thema, das ihm unter den Nägeln brannte, war eher praxis-orientiert:

Sohn: „Wie haben eigentlich Lesben Sex?“
Mutter: „Also, naja, hauptsächlich mit den Fingern.“
Sohn: „Igitt, das ist ja eklig.“
Mutter: „Das ist nicht eklig. Frauen, die lesbisch sind, haben Freude daran.“
Sohn: „Kennst Du eigentlich jemanden, der schwul ist?“
Mutter: „Ja, na klar. Martin zum Beispiel.“
Sohn: „Waas? Hätte ich ja nicht gedacht.“
Mutter: „Man siehts den Leuten doch nicht an, ob sie Männer oder Frauen als Partner lieber mögen.“

Dann wurde es ganz konkret:

Sohn: „Mama, wie fühlt sich ein Orgasmus an?“
Mutter: „Das ist ein sehr schönes Glücksgefühl, es kribbelt am ganzen Körper.“
Sohn: „Hat man deswegen auch Sex, obwohl man gar kein Kind haben will?“
Mutter: „Genau.“
Sohn: „Aber wenn das so schön ist, was ist dann daran schlimm, wenn ich im Internet Pornos anschaue?“ (Anm.: Das war vorgekommen, als der Sohn 8 war. Als meine Freundin unerwartet das Zimmer betrat, deckte er die Brüste auf dem Bildschirm schnell ab.)
Mutter: „Weil ich möchte, dass Du erst Deine eigenen Erfahrungen sammelst. Dann kannst Du immer noch hinterher einen Porno anschauen. Wenn Du das vorher machst, hast Du wahrscheinlich ganz falsche Vorstellungen und kannst es dann gar nicht so genießen.“

Überflüssig zu erwähnen, dass meine Freundin sich durchaus fragte, ob dieses Gespräch noch im angemessenen Rahmen verlief. Aber sie folgte tapfer ihrer Strategie, Fragen, die gestellt werden, auch zu beantworten, so hatte sie es von Anfang an gehalten. Es folgte dann ein Ausflug in die Thematiken Eisprung, Menstruation (es wurde ein Tampon im Wasserglas aufgeschwemmt, der Sohn war sehr beeindruckt) und Verhütung. Kondomen steht der Sohn nicht sehr offen gegenüber, er hat Angst, dass es nicht so viel Spaß machen könnte. Vor Aids hat er keine Angst, denn er sucht sich sowieso eine Frau, die ganz sicher treu ist.

Sohn: „Mama, hast Du mal ein Kondom?“
Mutter: „Ähem, ich muss mal eben nachschauen. Wir, also der Papa und ich, verwenden ja keine Kondome.“
Sohn: „Klar, warum auch, Du hast ja die Spirale.“

Woher er dies nun wieder wusste, entzog sich ihrer Kenntnis und sie fand jetzt auch, das Thema sexuelle Aufklärung hätte für diesen Tag genug Raum eingenommen. Schließlich hatte der Schulunterricht ja noch nicht einmal begonnen.

Meine Liebe, Du hast Dich wacker geschlagen. Mach Dir keine Sorgen, das mit dem Papst wächst sich zurecht.

Die Deutschlandfahne in der Yuccapalme


Wie und wo möchte ich später einmal leben? Diese Frage stellt man sich üblicher Weise das erste mal zwischen 16 und 20. Man hat große Pläne. Interessanter Weise stelle ich mir diese Frage heute, mit knapp 40, immer noch. Dabei ist längst später. Vielleicht, weil keiner der großen Pläne (Entwicklungshelferin in Afrika, 3 Kinder, großes Haus, in dem auch Bettler aus der Gegend bewirtet werden, kreativer Beruf, der mich erfüllt und reich macht…) bisher umgesetzt ist. Aus lauter Verzweiflung, dass ich kurz vor der Gezeitenwende mit 40 weder meine Jugendideen noch nennenswerte Alternativen in der Pipeline habe, stelle ich andauernd fest, wie ich auf keine Fall leben möchte. Zuletzt heute.

Ich saß, zusammen mit zwei schlafenden Babys, bei Minusgraden im feinen Blankenese im Campingbus meiner Freundin, und fror. Es wäre zu umständlich zu erklären, wie es dazu kam, jedenfalls war meine Freundin beim Arzt und draußen war Nebel, links von mir rauschte der Verkehr vorbei und rechts lag ein depressiver Bürgersteig am Straßenrand. Aus meinem Busfenster sah ich 2 Schaufenster, KIND Hörgeräte und einen spießigen Frisör (Coiffeur). Kein Mensch kam vorbei, kein Wind wehte, es regnete nicht einmal. Ich war, eingeschlossen in einen Käfig, mitten im Nichts. Mein Gott, dachte ich, hier möchte ich auf keinen Fall leben. Ein an sich überflüssiger Gedanke, denn es steht gar nicht zur Disposition, dort zu leben oder überhaupt irgendwo anders. Dann wachten die Babys auf und meine Freundin kam vom Arzt zurück. Ich schnallte mein Kind vor den Bauch und stieg in die nächste S-Bahn, um nach Hause zu fahren. Dort erreichte mich auf meinem Blackberry (!) die E-Mail meines besten Freundes, der gerade in Frankfurt beruflich mit Bänkern zu tun hat. Er schrieb, die seien alle sehr nett, aber an Humor nicht gewöhnt. Wenn man im Fahrstuhl einen mittelwitzigen Spruch bringe, dann könnten die sich vor Lachen nicht mehr halten. Ansonsten unterhielten sie sich über inserts auf web-application-servern, die deployed werden müssen. Bin ich froh, dachte ich nun, dass ich nicht in Frankfurt hocke und mit einem von denen verheiratet bin. Als hätte mich je einer gefragt. Dann stieg eine ältere Frau mit Sturzhelm in das Abteil ein, sie hatte so etwas wie das Tourette-Syndrom, jedenfalls redete sie laut und unkontrolliert vor sich hin, während sie, offenbar völlig entspannt, gleichzeitig in der Morgenpost las. „Ja nee, ich hab ja ne Porsche-Garage auf der Shelltankstelle!“, wiederholte sie mehrfach. So, dachte ich, das ist also das Leben. Mir fiel dieser Spruch von John Lennon ein, oder wer immer sich den ausgedacht hat: „Leben ist das, was stattfindet, während Du fleißig andere Pläne schmiedest“. So ist es. Vielleicht sitze ich morgen mit Helm auf dem Kopf in der S-Bahn und brülle Nonsens in die Gegend.

Oder ich bewohne ein Reihenhaus am Rande der Stadt. Mit selbst gebasteltem Fensterbild und weiß gestrichenem Zaun (von wegen Bettler am Tisch!). SPIEGEL ONLINE schreibt, das Reihenhaus sei in Deutschland wieder im Kommen, und weil es gemeinhin nicht mehr so viele Wohnsünden enthielte, dürfe auch einmal eine Deutschlandfahne in der Yuccapalme stecken. (Artikel).

Während ich also in Gedanken mit meinem Sturzhelm rhythmisch gegen einen Yuccapalmentopf schlage und meiner Deutschlandfahne wirres Gedankengut mitteile, fällt mir noch ein großartiges Statement zum Thema Lebensform ein. Es entschuldigt nahezu jeden Ausfall und stammt von der französischen Justizministerin, die ja Anfang Januar ein uneheliches Kind gebar und niemandem sagt, wer der Vater ist. Sie sagt dazu: „Mein Privatleben ist wahnsinnig kompliziert.“ Lässig, oder?