Bestellung


Beim Verkauf meiner Adresse und meiner persönlichen Daten ist etwas schief gegangen. Ich glaube, die Datenhändler haben bei meinem Geburtsjahr geschlampt. Ich bekam kürzlich eine Einladung, sie enthielt eine Busfahrkarte („natürlich gratis!“), die Aussicht auf einen bunten Abend mit meinen Lieblingsstars der Volksmusik („natürlich gratis!“) sowie ein Abendessen in Form einer Schlachteplatte, die schon auf dem Werbefoto so ekelhaft und fettig aussah, dass ich nie wieder Fleisch essen möchte („natürlich gratis!“).

Sehr verehrte Adresshändler, diese Post möchte ich nicht bekommen. Ich möchte einen Katalog mit der neuesten Schuhmode, sie soll wertig sein (meinem Einkommen entsprechend), einigermaßen bequem (ich bin fast 40), modisch aber nicht lächerlich. Ihr könnt mir auch Empfehlungen für Individualreisen schicken, die auch mit Kind machbar sind. Sendet mir gern Buch- Musik- und Filmkataloge, Interieurvorschläge zwischen Design und Flohmarkt, Tipps für natürliche Kosmetikprodukte, die mich jünger machen, für die aber keine Tiere ermordet wurden (keine Werbung für Schönheits-OP-Kliniken, die bitte erst in etwa 10 Jahren) sowie sämtliche Infos zum Erwerb bezaubernder, gesunder, schadstofffreier, wahrnehmungsfördernder und ethisch-moralisch-sozial-pädagogisch-politisch korrekter Kinderprodukte mit Probepackungen.

Noch einmal zum Mitschreiben: ich bin 1970 geboren und weiblich. Ich befinde mich in mittlerer Einkommensklasse und habe einen akademischen Hintergrund. Ich lebe in der Großstadt und halte mich für individueller, als ich bin. Ich bevorzuge moderne, desgin orientierte und qualitativ hochwertige Produkte, ohne verkrampft zu sein. Dabei mache ich gern ein Schnäppchen, ich freue mich über das Gefühl, 50 -70 % gespart zu haben, auch wenn ich das Produkt gar nicht benötigt hätte. Ich halte mich für intellektueller als den Durchschnitt, möchte mich dabei aber nicht übermäßig anstrengen. Ich habe ein kleines Kind, für das ich das Beste will, ohne es zu überfordern. Ich bin nicht sonderlich schlank, will das aber nicht wahrhaben. Ich reise gern, treibe gern aber zu wenig Sport, ich bin kulturell interessiert und orientiere mich mit ironsicher Distanz (manchmal auch ohne) an den Protagonisten in GALA und BUNTE. Ich ernähre mich weitgehend gesund und genussvoll. Meine Schuhgröße ist 39.

Meinen Penis möchte ich nicht verlängert haben und einen Kredit werde ich nur über meine Hausbank aufnehmen. Einen Lebenspartner habe ich schon. Ich habe keine komischen Krankheiten und stehe nicht für medizinsiche Tests zur Verfügung, jedenfalls nicht solange ich lebe.

So, das sollte reichen, nun hätte ich gern passende Post, gern auch per E-Mail, meine jeweilige Adresse habt Ihr ja.

Originalfoto aus der Einladung

Deutschland braucht Frischfleisch


In letzter Zeit nehme ich ab und zu an Umfragen teil, und zwar aus Langeweile. Obwohl die Aufzucht eines Kindes die so ziemlich aufregendste und sinnvollste Lebensaufgabe der Welt ist, entstehen dabei Lücken, Lebenssinnlücken. Sie entstehen, wenn das Kind schläft und man zu erschöpft ist, um etwas Produktives zu tun und nicht entspannt genug, um sich zu erholen. Ich schließe diese Lücken gewöhnlich mit irgendeiner sinnfreien Tätigkeit, zum Beispiel der Teilnahme an Umfragen. Die Potenz einer Lebenssinnlücke entsteht, wenn man die langweilige, sinnfreie Tätigkeit, der man gerade nachgeht, aus Langeweile googelt, es entsteht quasi eine Lebenssinnlücke zum Quadrat. Ich habe das gemacht, mit dem Wort Umfrage. Es war wider Erwarten großartig, hier ist das Ergebnis:

Per Umfrage wird jedes Jahr das Wort des Jahres gewählt, in 2008 ist es „Finanzkrise„. 1971 war es „aufmüpfig„. Da ging es also los mit der Befreiung von Zucht und Ordnung in Deutschland! Verfolgt man weitere Wörter des Jahres, ergibt sich ein knackiger Spiegel jüngerer deutscher Geschichte. 1977 kam die „Szene„, 1978 die „konspirative Wohnung“ (inzwischen fühlte sich das Establishment ernstlich bedroht). Dieser Geschichtsstrang streift noch die „Rasterfahndung“ (1980) und mündet schließlich 1983 in „Heißer Herbst„. Dann kamen die Grünen und die Worte des Jahres hießen „Umweltauto„, „Glykol“ und „Tschernobyl„. Na gut, Tschernobyl hätte es wohl auch ohne die Grünen geschafft. Jedenfalls, dann kam die Wendezeit und ganz ehrlich, seitdem geht es mit Deutschland bergab. Es begann optimistisch mit „Reisefreiheit“ 1989 und den immerhin noch gönnerhaften „neuen Bundesländern“ 1990. Aber dann nahm das Elend seinen Lauf. Der „Besserwessi“ regierte Deutschland (1991), „Politikverdrossenheit“ überkam das ganze Land (1992) und schließlich ging es los mit dem „Sozialabbau“ (1993), ein „Sparpaket“ musste geschnürt werden (1996), dadurch entstand ein „Reformstau“ (1997), den auch „Rot-Grün“ (1998) bekanntlich nicht auflösen konnte. Stattdessen gab es die „Schwarzgeldaffaire“ (2000), den „Teuro“ (2002), „Hartz IV“ (2004) und nun also die Finanzkrise.

Es gibt aber guten Grund zur Hoffnung, dass Deutschland doch nicht dem Untergang geweiht ist. Der Grund ist der Humor der Jugend. Neben dem Wort des Jahres wird nämlich seit einiger Zeit auch das Jugendwort des Jahres gewählt. Gewonnen hat 2008 das Wort „Gammelfleischparty„, das ist eine Party für über 30-jährige. Diese Altersgruppe ist es wohl auch, die Heuchlerbesen überreicht, heimlich in der Rentnerbravo blättert und sich nur noch im Eierkocher wirklich regenerieren kann. Ich bin guten Mutes, dass die Jugend es richten wird, Frischfleischparties feiert und fröhlich, vielleicht sogar ein bisschen aufmüpfig voran schreitet.

Nur Eines sorgt mich. Wenn ich politisch fragwürdige Begriffe, z. B. Heißer Herbst, im Internet veröffentliche, gerate ich dann ins Visier einer Rasterfahndung? Oder interssiert das keine Sau, was ja eigentlich auch nicht richtig wäre? Die stecken mir aber gewaltig in den Knochen, die Achziger, mannmannmann…

PS: Heuchlerbesen = Blumenstrauß, Rentnerbravo = Apotheken Umschau, Eierkocher = Whirlpool

PPS: Morgen googele ich das Wort Nasebohren.

Der arme Taxifahrer


So. Meine Tochter wird nun um 8 ins Bett gebracht und schläft dann 12 Stunden. Das macht mein Leben besser, unter Anderem kann ich wieder in meinen Blog schreiben, da ich mehrere Gedanken nacheinander fassen und notieren kann. Außerdem kann ich nun abends wieder ausgehen, denn einen Notfallschnuller kann ja jeder mal in das Kind stopfen, falls es aufwacht. Diese neu gewonnene Freiheit brachte mich gestern auf die Weihnachtsfeier meiner Firma. Mit dem Taxi. Über den Taxifahrer, der die Hausnummer am falschen Ende der Straße wähnte und deshalb einen Riesenumweg fuhr, für den er statt sich bei mir zu entschuldigen die arme Straße verantwortlich machte, weiß ich nun Folgendes:

  • Seine Mutter liegt im Sterben
  • Sein Sohn ist 17 und missraten
  • Das liegt an seiner fürchterlichen Exfrau, die ihm alles durchgehen lässt. Sogar, dass er die Schule nun ohne Abschluss verlässt, obwohl er einmal ein guter Gymnasiast war.
  • Sie ist auch Schuld daran, dass der Junge die falschen Freunde hat. Dafür hat er nämlich ein Händchen. Deswegen nimmt er nun Drogen und muss von Polizeiwachen abgeholt werden.
  • Im Krankenhaus um die Ecke hat er ein Praktikum gemacht, ist aber rausgeflogen, weil er ausnahmsweise einmal den Rat seines Vaters befolgt hatte (zeige Interesse!) und ständig in die Visite hineinquatschte. Das kann ja auch nichts werden.
  • Eigentlich hat der Sohn bei seiner Mutter gelebt aber die ist nun einfach weggezogen. Er, der Taxifahrer, muss nun auslöffeln, was sie alles vermasselt hat.
  • Ganz spontan und ohne Vorankündigung hat ihn heute auch noch seine Freundin verlassen und ist lesbisch geworden.

Lieber Taxifahrer, ich möchte Dir zurufen:

  • Dein Sohn ist ganz prima, jeder normale Mensch gerät unter solchen Umständen ins Wanken!
  • Wenn Du an Deinen Sohn nicht glaubst, wird er noch 1000 mal irgendwo rausfliegen. Aber gut, dass Du selbst es so wahnsinnig weit gebracht hast! Sicher ist Dein Sohn ganz neidisch auf seinen Super-Vater!
  • Es ist nicht der Fehler der Straße, dass Du keine Ahnung hast, wo Nummer 53 ist und von welcher Seite man heranfahren muss. Es ist Dein Job, dies zu wissen oder rechtzeitig herauszufinden. Ich bezahle Dich dafür.
  • Das mit Deiner Mutter tut mir Leid, vermutlich ist sie der letzte Mensch auf Erden, der Dich liebt.
  • Ich glaube, wenn ich längere Zeit mit Dir zusammen wäre, würde ich durchaus auch mit dem Gedanken spielen, meine lesbische Seite zu entdecken. Vorsichtshalber.

Ein bisschen was davon habe ich ihm gesagt, zum Beispiel dass er an seinen Sohn glauben soll. Ich fand, der arme Junge brauchte einen Fürsprecher und ein bisschen Super Nanny steckt halt auch in mir.

So, und zum Abschluss hier ein Artikel in ZEIT ONLINE über Frankfurter Taxifahrer, er hat für mich etwas Tröstliches. In der selben Rubrik gibt es ein paar Artikel über die Super Nanny. Ich stelle fest, dass mein Leben GANZ dicht dran ist am Puls der Zeit. (Artikel).