Memory


Meine Freundin sammelt vierzigjährige Frauen. Sie hat in ihrem Freundeskreis schon folgende Varianten: Vierzig, alleinstehend, ohne Kinder. Vierzig, in Beziehung, ohne Kinder, Kinderwunsch. Vierzig, in Beziehung, mit Baby und/oder Kleinkind (dazu gehöre ich). Vierzig, in Beziehung, Kinder im Teenie-Alter. Vierzig, geschieden und/oder in neuer Beziehung, mit erwachsenen Kindern. Vierzig, Großmutter. Mich gruselt das. Vierzig ist unter Berücksichtigung aktueller biologischer und gesellschaftlicher Faktoren das vielseitigste Alter für Lebensmodelle von Frauen. Mit dreißig und fünfzig bröckeln jeweils am oberen und unteren Ende Varianten weg, aber für uns heute Vierzigjährige ist alles drin, beziehungsweise wäre alles drin gewesen. Das ist der berühmt-berüchtigte Fluch meiner Generation, die Freiheit der Entscheidung für alles Mögliche, was natürlich bedeutet, dass man sich hauptsächlich gegen lauter Sachen entscheiden musste, besonders als Frau wegen der Biologie. Man musste zum Beispiel schon mit unter 20 wissen, ob und was man studieren will und mit welchem Ziel, mit 30 musste man das Thema Paarung zumindest gedanklich vorbereiten, ab Mitte 30 in die konkrete Planung gehen. Dazwischem musste man sich für und gegen vielerlei Dinge, wie zum Beispiel Haus auf dem Land oder Stadtwohnung, klassische oder moderne oder gar keine Möbel, freies oder angestelltes Arbeiten, Kochbücher oder Fertiggerichte, Nähen oder Nähenlassen, Auto oder Fahrrad oder VW-Bus oder Mischformen, Fitnessclub oder Joggen entscheiden. Für die Generation nach uns wird es wieder leichter. Wer heute kein Abitur macht, ist von vorneherein raus, es sei denn, er oder sie holt es später nach, das gilt auch, wenn man einen Beruf im Einzelhandel oder Handwerk anstrebt. Generell wird man ohnehin nicht mehr unbefristet eingestellt, so dass man beruflich höchstens eine Zweijahresplanung vornehmen muss. Der Staat und die Kommunen sind pleite, das Beamtentum stirbt nach und nach aus und sogar als Lehrerin kriegt man nicht mehr regelmäßig Gehalt. Wer sich also für ein Beamtendasein entscheidet, muss damit rechnen, entweder kurz vor der Verbeamtung wieder rausgeschmissen zu werden oder nach kurzer Zeit wegen des öffentlichen Geldmangels so frustriert zu sein, dass man von selbst geht und noch einmal ganz von vorn woanders anfängt. Für eine kulturell ausgerichtete Ausbildung entscheiden sich nur noch die ganz Verrückten, eigentlich fällt es als Berufswahl aus, zumindest wenn man davon leben muss, Kultur als Lebensweg ist tot. Multikulti ist auch tot, wie man dieser Tage lesen muss, ethnische oder sprachliche Studiengänge fallen also auch weg, außer vielleicht Chinesisch oder Indisch. Selbst für den Beruf des Arztes entscheiden sich heutzutage nur noch Menschen, die Spaß an einer zwölfjährigen Ausbildung haben, an deren Ende sie 24-Stunden-Schichten für das Gehalt eines Schuhverkäufers schieben. Im Grunde müssen die heute jungen Menschen bei der Berufswahl nur wenige Entscheidungen treffen: Programmierer oder BWL plus irgendwas mit Medien, BWL plus irgendwas mit Asien, BWL plus irgendwas mit Steuern, Revision oder Altersvorsorge, Wohnungsmakler oder Einzelhandel mit Schwerpunkt Elektrofachmarkt. Allers andere geht nur als Hobby und hat dann zur Folge, dass man sich ohnehin keine Kinder leisten kann, so dass diese Entscheidung dann auch wegfällt.

Aber zurück zu den heute vierzigjährigen Frauen. Das eigentliche Dilemma ist, dass es ungleich weniger männliche Gegenstücke gibt. In meiner männlichen Privatsammlung im Freundeskreis befinden sich nur die folgenden Modelle: Alleinstehend und seit 25 Jahren im Flirtmodus, 10 davon in Singlebörsen. In Beziehung lebend ohne Kinder, weil sie sich mit 40 noch nicht reif dafür fühlen. Familienväter. Geschiedene oder getrennt lebende, unterhaltspflichtig für 1-3 Kinder. Es fällt ins Auge, dass man mit den Frauenmodellen nur ganz, ganz wenige Pärchen bilden kann. Zum Beispiel geht der ewig flirtende Bindungsflüchtling nicht mit der Alleinstehenden zusammen, sofern sie einen Kinderwunsch hegt. Auch nicht mit der in erster oder zweiter Beziehung mit Kindern lebender und schon gar nicht mit der Großmutter. Eigentlich mit überhaupt keiner Vierzigjährigen, da er von einer Fünfundzwanzigjährigen träumt. Die Familienväter und die Paare mit Kleinkindern nehme ich aus ethisch-moralischen Gründen und aus persönlicher Verlust-Ur-Angst mal raus aus dem Memory. Mögliche Paarungen sind: der Beziehungsmann, der mit dem Kinderwunsch noch wartet, mit der Alleinstehenden ohne Kinder und ohne Kinderwunsch (bei der Frau mit Kinderwunsch gibt es nur eine kurze Zeitspanne, in der das Sinn macht, sie beträgt ungefähr zwei Wochen, meistens kurz nach Weihnachten, wo der Mann merkt, dass Familie doch irgendwie schön ist und wo sie sich jung genug findet, weil sie über die Feiertage mal ausruhen und baden konnte). Der unterhaltspflichtige Mann mit der geschiedenen Frau und mit der Großmutter. Und das wars eigentlich. Nee, also alles in Allem ist vierzig ein frauenfeindliches Alter. Das ist schade, denn in meiner persönlichen weiblichen Sammlung befinden sich ausschließlich attraktive, weitgehend in sich ruhende, unperfekte aber großartige Frauen mit vielen Ideen und noch mehr Verve und oberviel Witz, liebe fünfzigjährige Männer, das ist Eure Chance!

Scheißegal, ich bin vierzig.


Ich fahr nicht gern Auto, und wenn nebendran

auf dem Beifahrersitz, mit Sitzheizung an.

Scheißegal, ich bin vierzig.

Das Kissen, auf dem ich die Nacht verbracht

hab ich im Gesicht bis abends um acht.

Scheißegal, ich bin vierzig.

Worauf ich geschimpft mit Verve allzumal

find ich heute gut, zumindest egal.

Zum Putzen hab ich seit Jahrn Personal,

ab dem zweiten Stock ist treppauf eine Qual,

gegen allerlei Weh stehn Pillen im Regal,

meine Nachbarin – warte, wie heißt sie nochmal –

Scheißegal, ich bin vierzig.

Der Oberarm schlabbert, das Doppelkinn auch,

Ich träum nicht mal mehr vom Bikinibauch!

Ihr könnt mich mal sonstwo, Frau Schiffer, Frau Klum,

steh ich voll drüber, ich bin ja nicht dumm!

Ich strahle von innen und das macht mich schön.

Glaub ich zumindest, ich kanns bloß nicht sehn.

Scheißegal, ich bin vierzig.

Die letzte Demo liegt Jahre zurück,

heut drück ich „I Like“ und finde mich schick.

Atomkraft, Genetik, ein Wirtschaftsskandal?

Ich schüttel den Kopf und finds dann banal.

Scheißegal, ich bin vierzig.

Hätt ich mich gemocht als ich 15 war?

Wollt ich so werden – so unangreifbar?

So nett, so gediegen, so angepasst,

mit leicht kritischer Note, aber nirgends gehasst?

Natürlich nicht, wer so war, war oll.

Doch mit 15 war ich nun auch nicht so toll.

Ach kommt, ich werde bald Alzheimer kriegen

und bis dahin schließ ich mit mir meinen Frieden

und lehn mich zurück, Ikea sei Dank,

lackiere mir die Fußnägel blank

(auch im Winter, falls ich ins Krankenhaus muss),

geb dem Mann und den Kindern nen herzlichen Kuss

und freu mich, dass ich es leicht nehmen kann,

das Leben. Es fängt jeden Tag an.

Hurra, ich bin vierzig!

Moment, ich bin grad auf Klo!


So, das Maß ist voll, ich zähle jetzt alle Geräte auf, die Piepsen, wenn sie mir etwas sagen möchten und die nicht aufhören, bis ich die von ihnen gewünschte Handlung vorgenommen habe:

  • Meine Waschmaschine
  • Mein Wäschetrockner
  • Mein Anrufbeantworter, wenn ich den neuen Anruf noch nicht abgehört habe (wenn zwei drauf sind, piepst er nur für den neuesten, den davor darf ich ruhig vergessen, mein Anrufbeantworter ist ein bisschen schlicht)
  • Mein Leihwagen wenn ich
    a) nicht angeschnallt bin
    b) mein Beifahrer nicht angeschnallt ist
    c) das Licht noch an ist
    d) eine nicht näher benannte Tür noch offen ist
  • Meine Mikrowelle
  • Der Rauchmelder in der Sauna, die ich kürzlich aufgesucht hatte, nachdem der Dampf, den ich beim Kaltduschen verursacht hatte, in den Ruheraum eingedrungen war
  • Mein Laptop, wenn es Energie braucht
  • Mein Mobiltelefon, wenn es
    a) Energie braucht
    b) ich eine SMS noch nicht gelesen habe
    c) es sich einsam fühlt

Liebe Geräteentwickler, ich fühle mich ohnmächtig. Wenn Ihr schon das Gepiepse einprogrammiert, dann programmiert bitte den Fall mit ein, dass man gerade nicht reagieren kann oder will. Zum Beispiel weil man auf Klo sitzt und deswegen nicht umgehend zur Waschmaschine laufen möchte, sondern etwas später. WENN MAN FERTIG IST!

Und warum piepst niemand, wenn man es mal braucht?! Hier ein paar Entwicklungsideen für sinnvolles Piepsen:

  • Süßigkeitentüte: Man wollte nur drei Bonbons oder Kekse essen und nimmt sich schon den zehnten
  • Feierabend: Man wollte um sieben Feierabend machen und es ist nach acht
  • Autodach: Dort hat man das Portemonnaie, den Schnuller fürs Baby (das zehn Minuten später auf der Autobahn erbärmlich schreit), den Kaffeebecher, die vertrauliche Geheimdienstunterlage, seinen Laptop oder sonst eine lebensnotwendige Sache liegengelassen
  • Sofa: Man hatte sich vorgenommen, zum Sport zu gehen und sitzt schon seit zwei Stunden drauf und schaut auch noch RTL
  • Quasselstrippe: Selbige labert einen voll und reagiert auf kein einziges nonverbales Signal und man kann nicht fliehen (volle S-Bahn, man holt sein Kind vom Kindergarten ab und es hat noch keine Schuhe an)
  • Natur: Man möchte mit seiner Familie ein wildromantisches Picknick machen und breitet alles neben dem Wespennest, Mückenschwarm, Ameisenvolk, Rattenwohnheim aus
  • Shoppen: Man ist nur noch mit 80 Euro im Plus und hat schon für 200 eingekauft
  • Haustürschlüssel:
    a) Er liegt noch drinnen und man ist draußen und es friert und das Kind hat keine Mütze auf
    b) Er steckt von draußen an der Haustür und niemand ist zu Hause und man hat sich schon mehr als 50 Meter vom Haus entfernt
    c) Er befindet sich in der Hand eines unter fünfjährigen Kindes, das Haustüren zwar zu-, aber nicht wieder aufschließen kann
  • Blase: Man muss mal, ist aber zu faul und dann sitzt man 1 Stunde im öffentlichen Personennahverkehr fest.

Da ist man dann auf seine innere Stimme angewiesen und versagt kläglich. So, Ihr Schlauberger, macht was draus!