Pickel

(Über die Pubertät des Konzepts „Working Mom“)


Wir wissen ja alle, wie es geht. Das mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, meine ich. Für uns Frauen gibt es tausend Vorbilder, tausend Möglichkeiten, tausend Fachbücher, tausend eigene Ideen und eine Million Kommentare dazu. Allein, hier und da gibt es klitzekleine Unreinheiten im schönen, gepflegten Antlitz des Konzepts „Working Mom“. Bisweilen auch Akne. Wie aus heiterem Himmel schreit man plötzlich sein Kind an, weil es seine Stiefel extra langsam zumacht, diese kleine Kröte, die einen nur ärgern will und EXTRA nicht hört, grad wo man es eilig hat, du gemeines Aas! Huch, war wohl ein bisschen heftig. Besonders wir Frauen gehen dann hart mit uns ins Gericht. Wir haben unser Kind angeschrieen! Wegen sowas! Etwas milder sind wir mit uns, wenn wir unseren Mann anschreien, weil er schon wieder den Geschirrspüler so dermaßen bekloppt eingeräumt hat, dass man alles nochmal von vorne machen muss, das kann doch nicht so schwer sein, Mann, TELLER zu den TELLERN und man kann das Ding auch ganz aufmachen und hinten was reinstellen, verdammt nochmal! Huch, war wohl ein bisschen heftig. Und plötzlich sind wir sauer auf die kinderlose Kollegin, die wegen eines harmlosen Schnupfens zwei Tage zu Hause geblieben ist, ZWEI TAGE, wegen SCHNUPFEN, von Schnupfen reden wir nichtmal und jetzt sitzen wir da und ausgerechnet heute macht der Kindergarten früher zu, als hätte sie’s geahnt, die faule Socke! Huch, war wohl ein bisschen heftig.

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Wo kommen die her, diese Pickel in unserem sauber ausgeklügelten Konstrukt, das uns glückliche Kinder, tolle Väter und totale Erfüllung versprochen hat? Es ist noch in der Pubertät und das bedeutet unter Anderem, dass ausgerechnet wir aufgeklärten Frauen, die alles reflektieren, verstehen, einordnen und relativieren können, unverhofft an Grenzen kommen. Und dann werden wir bisweilen so, wie wir nie sein wollten. Was führt dazu, dass das Leben hinter der schönen und lustigen Facebook-Familien-Heile-Welt-Fassade hier und da ganz schön aus dem Ruder läuft? Das:

1.: Unser Anspruch

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Viel berichtet, aber hier unbedingt noch einmal an erster Stelle zu nennen. Wir verlangen von uns Frauen, beruflich dort einzusteigen, wo wir vor den Kindern aufgehört haben und dann Karriere zu machen. Oder mit unserer Selbstständigkeit den ganz großen Wurf zu landen. Mit all der Verlässlichkeit und Kraft, die das erfordert, so, dass keiner merkt, dass wir nächtelang nicht geschlafen haben oder vor schlechtem Gewissen fast platzen, weil das Fieberkind seit 3 Tagen bei Oma wohnt. Im Kindergarten wollen wir dann erfüllt vom Tag voller Vorfreude ankommen und die Launen unserer Kinder mit einem milden Lächeln wegstecken. Dann flugs nach Hause, auf dem Rückweg noch schnell im Supermarkt vorbeischauen (ohne Peinlichkeiten und ja, es ist uns peinlich, all das, was Kleinkinder im Supermarkt so anstellen!) und zu Hause eben noch ne Wäsche rein, und dann wird gebastelt. Oder gesungen. Oder sich kreativ verkleidet. Auf dem Bio-Abendbrotstisch steht später pünktlich die ausgewogene Mahlzeit, zu der der Mann, falls er es rechtzeitig schafft, herzlich eingeladen ist.

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Nach dem einstündigen Insbettgehritual inklusive Kuscheln treffen wir uns dann mit unserem Mann bei einem guten Rotwein (Doppelverdiener!) auf dem Sofa. O.K., nur ne DVD statt Kino, aber man muss halt Opfer bringen. Wir wollen ja auch dem Mann noch die neuen Dessous zeigen, die wir im Internet gekauft haben, huiuiui, kicher, Kerze an und ab gehts! Und das jeden Tag, außer am Wochenende, da gehen wir mit der Freundin Kaffee trinken und der Mann „macht die Kinder“. Total gern natürlich. Ach, ich hab das Sportprogramm vergessen, hier gehen die Ansprüche durchaus auseinander. Manche verlangt von sich nur einmal die Woche Fitnesscenter (Doppelverdiener!), andere die tägliche Joggingstunde, sobald der Beckenboden wieder hält. Wer denkt an Omas Geburtstag? Kinder geimpft? Vorsorgeuntersuchungen noch im Plan? Passen noch alle Schuhe? Eigene Frisur noch zeitgemäß? Milch noch gut? Trotzphasenerziehungsratgeber-Workshop besucht? Ostereier ausgepustet? Adventskranz geklöppelt? Ladies, wir sind wahnsinnig! Niemand kann das auf Dauer schaffen, und wenn doch, dann nur mit entsprechenden Rahmenbedingungen, und damit kommen wir zum nächsten Punkt:

2.: Das Netzwerk

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Um auch nur der Hälfte unseres Anspruchs gerecht zu werden, brauchen wir einen Verbund. Ob der nun erkauft ist durch zusätzliches Betreuungspersonal oder durch Familie und Freunde von Natur aus da ist, spielt für das Gelingen keine Rolle. Wichtig ist, dass er groß genug und von Vertrauen geprägt ist. In den wenigsten Fällen ist das Netzwerk aber groß genug. Wenn es gut läuft gibt es eine Hauptoma und eine Zweitoma und eine Freundin oder Babysitterin neben dem Kindergarten. Oft gibt es das aber nicht, und dann steht man da mit ausgefallenem Plan A, wenn das Kind krank wird (oder man selbst!) und Plan B geht schon nicht mehr, weil man die Schwester nicht schon wieder fragen kann, die war letztes mal schon den Tränen nahe, kann aber nicht Nein sagen. Ja, wir Frauen können ausgezeichnet nicht fragen wollen und nicht nein sagen können. Standby-Babysitter sind teuer und es dauert Jahre, bis man genug Mütter kennt und die Kinder groß genug sind, damit man sie für ein paar Überstunden bei Freunden unterbringen kann. Aus irgendeinem Grund funktioniert die Vernetzung im Kindergarten, in dem fast alle Mütter das gleiche Problem haben, noch nicht optimal. Die geteilte Ersatzomi aus dem Viertel? Die Ausnahme. Zuverlässige Reihumbetreuung? Fehlanzeige. Da ist noch Luft nach oben. Ich glaube, das Problem liegt darin, dass sich keine traut, zu fragen. Es ist nicht gerade en vogue, Engpässe in der Familienorganisation offensiv anzusprechen, was sehr schade ist. Ist es aufgefallen? Bisher war die Rede hier hauptsächlich von den Müttern. Aus folgendem Grund:

3.  Die Rolle der Väter

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Auch hierüber ist hinlänglich analysiert, berichtet, und diskutiert worden (Der neue Vater, witzige Windelbücher von Vätern und so weiter). Was aber noch längst nicht ausreichend beleuchtet ist, ist der Vater mit berufstätiger Frau im eigenen beruflichen Umfeld. Über den wird überhaupt nichts geschrieben. Er ist aber eine tragende Säule im Familienmodell mit „Working Mom“. Jede berufstätige Frau mit Kind kennt den Moment: die wichtige Besprechung hat gerade erst angefangen, da kommt der Anruf: Kind krank. (Es wird natürlich die Mutter angerufen). Und los gehts: Cool bleiben, sich elegant aus der Besprechung stehlen, die KiTa vertrösten („Ich komm so schnell ich kann, ich muss nur noch schnell ein paar Kleinigkeiten regeln“), die Schwiegermutter anrufen, die kann nicht, selber krank, zeitgleich die Kollegin ins Thema einarbeiten, drei E-Mails schreiben, zwei weitere Besprechungen absagen, eine davon oberwichtig, das zweite Kind für den Nachmittag parken, zur Kita hetzen. Auf dem Rückweg ruft Frau den Mann an, dem das alles total leid tut. Echt. Hier ist ein Knackpunkt, und der liegt in vielen Fällen nicht in der Bereitschaft des Vaters, sondern in dem oft noch fehlenden Selbstverständnis Vorgesetzter, dass in solchen Situationen auch Väter gefragt sind. Es ist längst nicht üblich, dass Väter beruflich entbehrlich sind. Bei Müttern weiß jeder, dass es eben nicht anders geht, und je nach dem wird es zähneknirschend geduldet oder sogar unterstützt. Die Vorgesetzten von Vätern sind aber oft entweder selbst Väter, bei denen das auch nie ging, oder eben noch keine Väter. Auch hier ist noch viel Luft nach oben. Es ist eine gesellschaftliche und kulturelle Frage, keine wirtschaftliche oder individuelle. Es muss kollektiv eingefordert werden, dass die bezahlte Arbeit in solchen Fällen auch von Vätern unterbrochen werden kann.

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Es muss also eine erste Generation geben, die ganz selbstverständlich diese Rolle annimmt. Jeder Arbeitgeber wird damit umgehen können, aber kaum einer wird es von sich aus anbieten, wenn es nicht eingefordert wird. Erst dann kann das Modell aufgehen. Wenn beide arbeiten (egal wie viele Wochenstunden) sind beide gefordert, wenn die Familie ruft. Beide prüfen ihre Verfügbarkeit bei Notfällen und bei wem es weniger weh tut, der geht. So einfach wäre das dann. Ist es aber meistens noch nicht.

Ich bin trotz dieser Herausforderungen, die wir noch zu bewältigen haben, überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir, das ist meine eigene Familie, das ist aber auch meine Stadt, mein Land und viele andere westeuropäische Länder auch (in Abstufungen). Das liegt unter Anderem daran, dass das so schick klingende und dezent geschminkte Konzept der mordernen „Working Mom“ meist gar kein selbstgewähltes mehr ist, sondern einer finanziellen Notwendigkeit entspringt. Das gilt inzwischen für alle gesellschaftlichen Schichten, außer der obersten. Daher taugen auch mediale Vorbilder in dieser Hinsicht nichts. Sicher sind Frau Klum und Frau von der Leyen und Frau Lopez sehr tüchtige Frauen, aber eben tüchtige Frauen mit Kindermädchen. Nun können wir dies neidvoll feststellen und weiter Pickel drücken, oder wir freuen uns an unseren neuen Möglichkeiten und gestalten das Konzept „Working Mom“ beim Erwachsenwerden mit. Und fangen bei uns an.

Ich kaufe dieses Jahr einen Adventskranz. Ein Anfang.

 

(Bildquellen: 1: Benjamin Thorn 2: Konstantin Gastmann, 3: Rainer Sturm, 4: Angelina S., 5: Oliver Weber, 6: Uwe Steinbrich, Alle: pixelio.de)

Ein Gedanke zu „Pickel

  1. Liebe Susanne,

    ich komme über twitter, die @vumenblase hat etwas von dir retweeted, das mir gefiel – und habe deinen Blog zu meinen Favoriten genommen.

    Du hast so Recht. Und übrigens habe ich trotz meines fortgeschrittenen Alters (46) auch noch echte Pickel, was ich sehr gemein finde. Und den Doppelverdiener-Ehemann musste ich leider abschaffen, da – das führt zu weit. 😉

    Herzlichen Gruss, Christine

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