Bittedanke und Tschüss.

Noch bei Pippi Langstrumpf aus den späten Sechzigern macht Annika einen Knicks, wenn sie einen Erwachsenen begrüßt und Tommi einen kleinen Diener. Unvorstellbar heute, ein Glück. So manche Gepflogenheit ist ausgerottet. Meine Tochter wird niemals einen Knicks machen müssen, höchstens wenn sie mal eine Königin trifft, dann meinetwegen. Und am Tisch wird bei uns geredet, gelacht und gesungen, egal wie alt man ist. Und auch ein Ellenbogen hat da einmal Platz, um einen müden Kopf in die Hand zu stützen. Manche Regeln und Manieren passen einfach nicht in unsere Familie und wie ich finde, auch nicht mehr in unsere Zeit. Und so war niemand erstaunter als ich selbst, als ich merkte, wie wichtig es mir ist, dass unsere Kinder laut und deutlich „Bitte“, „Danke“, „Hallo“, „Tschüss“, „Entschuldigung“ und „Ich möchte bitte“ sagen können.  Dieses „Wie heißt das Zauberwort?“ geht mir eigentlich eher auf den Keks, ebenso wie das Unterbrechen der kindlichen Freude über ein Geschenk mit dem Elternsatz „Hast Du Dich schon bedankt?“.  Und trotzdem.

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Ich glaube, dass Menschen, die das können, es leichter haben. Aber woran liegt das? Die wenigsten Gepflogenheiten sind aus dem Nichts entstanden, sie haben einen sinnhaften Ursprung. Ist die gesellschaftliche Grundlage für den Ursprung nicht mehr existent, muss die Gepflogenheit weg, so viel ist klar. Aber dieses Bittedanke, Hallotschüss, Entschuldigung und Ichmöchtebitte, das hat überlebt, nebst Ursprung. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wofür diese Worte eigentlich stehen und bin zu folgenden Ergebnissen gekommen:

„Danke“ sagen. Wer das kann, kann etwas annehmen. Er hat gemerkt, dass jemand ihm etwas Gutes tun wollte und kann das wertschätzen. Das heißt nicht, dass er die Sache an sich wertschätzt. Der hässliche Strickpulli von Oma darf ein hässlicher Strickpulli bleiben. Aber Oma hat ihn liebevoll ausgesucht in der Absicht, dem Kind eine Freude zu machen und diese Absicht nimmt das Kind an. Dafür bedankt es sich. Mit Glück lernt es sogar, sich darüber zu freuen. Wie reich das Leben sein kann, wenn man das kann!

Wer etwas hergibt, das er nicht mehr braucht oder das er ausgesucht hat, um jemanden zu beschenken, sagt „Bitte“. Was für ein schönes Gefühl. „Bitte“ sagen heißt, ich gebe Dir etwas, weil ich das richtig finde. Sogar, wenn ich es ein klein bisschen doch lieber selbst behalten hätte, finde ich es richtig, Dir das zu geben. Nimm es bitte an. Wer das kann, kann geben und wie wir alle wissen, nimmt es sich dann auch viel leichter, da ist dann irgendwie mehr Platz.

Einen Raum betreten und die Anwesenden begrüßen, auch so eine Kunst. Manch Erwachsener kann das nicht. Man bemerkt ihn vielleicht erst, wenn er ausversehen niest oder einem auf den Fuß tritt oder etwas von einem will. Wie in so Beziehungen. Unbemerkt reinschleichen und sich dann unerwartet bemerkbar machen, weil man etwas braucht, das ist ja so ziemlich der größte Beziehungskiller. Also, erstmal „Hallo“ sagen, das wusste schon Rüdiger Hoffmann (dem das allerdings ansonsten nicht viel genützt hat, aber das hat andere Gründe). Mit Glück kommt ein Signal zurück: Schön, dass Du da bist.

Und dann redet man mit der Person, die hinter einem steht, dreht sich um und da steht gar keiner mehr. Und man weiß nicht seit wann und warum. Hat sie Schluss gemacht? Musste sie mal? Ist sie gestorben oder steht sie hinter der Tür? Man weiß es nicht. Sie hat sich gar nicht verabschiedet. Zumindest „Tschüss“ sagen wäre schon nett gewesen.  Wer „Tschüss“ sagen kann, kann sich lösen, etwas beenden und zwar so, dass der andere weiß, woran er ist. Ich persönlich finde Menschen ja extrem anstrengend, die das nicht können und ich wünsche meinen Kindern nicht, dass sie dazugehören.

Tja, und dann ist da dieses weites Feld der Entschuldigung. Bücher wurden darüber geschrieben, umfangreiche Therapien ranken sich um das Thema Verzeihen, Schuld und Sühne spielen eine tragende Rolle, Du meine Güte. Mal im Kleinen gedacht heißt „Entschuldigung“ sagen aber nichts anderes, als sich Fehler zuzugestehen. Ich habe etwas falsch gemacht, bitte entschuldige das. Wer das flüssig über die Lippen bringt braucht das nicht tage-, monate-, jahre- oder ein Leben lang mit sich herumzuschleppen. Auch das finde ich äußerst erstrebenswert. Ich wünsche meinen Kindern, dass ihnen das möglichst oft gelingt (vor Allem öfter als mir).

So, und dann muss man ja schließlich noch sehen, wo man bleibt. Dahinter steckt etwas sehr Wertvolles: Für sich sorgen können. „Sehen, wo man bleibt“ impliziert allerdings schon, dass das nicht gelungen ist. Wer sehen muss, wo er bleibt fühlt sich meist schon übergangen und muss nun endlich einmal „Hier“ schreien. Wer aber laut, deutlich und freundlich „Ich möchte bitte“ sagen kann, der muss das nicht. Ein fünfjähriges Kind, das woanders zu Besuch ist, wird zu trinken kriegen, wenn es durstig ist. Und ein Erwachsener, dem das in Fleisch und Blut übergegangen ist, wird Raum für seinen Gesprächsbedarf, ein angemessenes Gehalt, ein ausgiebiges Wannenbad oder Butter auf dem Brot kriegen, zumindest meistens. Das Leben kann dann so einfach sein.

Und wenn ich nun also die uncoole Mutti bin, die Ihre Kinder zum Aufsagen dieser Formeln drängt, dann weiß ich jedenfalls, warum. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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Tschüss.

 

(Bildquellen: 1: Helen Souza, 2: Sylwia Schreck, beide pixelio.de)