Eltern Bashing ist in. Und meistens fühle ich mich ertappt. Vielleicht bin ich gar nicht gemeint, aber trotzdem:
Allerliebste Menschen ohne Kinder, die uns Eltern, insbesondere in Großstädten, wo wir ja jede Ecke gentrifiziert haben, dies und jenes vorwerfen: es nervt langsam! Ich bin nicht bereit, meine Kinder mit Schokolade vollzustopfen, bis in die Puppen wach sein zu lassen, ihnen beim ersten Trotzanfall eine runter zu hauen, sie ohne Helm neben einer Straße bergab Radfahren zu lassen, sie stundenlang schreien zu lassen, weil ich telefonieren oder fernsehen oder ausgehen will, sie zum Schwimmen lernen ins Wasser zu schubsen, sie ungeschützt unterm Ozonloch Hautkrebs kriegen zu lassen, ihnen mit 12 die erste Zigarette zuzustecken, sie sich so lange streiten zu lassen, bis sie bluten, ihnen unbequeme Schuhe und kratzende Mützen zu kaufen, sie mit einer Woche abzustillen, sie beleidigen zu lassen, sie hässlich anzuziehen, sie sich ständig selbst zu überlassen, sie unangschnallt ohne Kindersitz im Auto mitfahren zu lassen, weil uns das in den Siebzigern oder Achtzigern alles auch nicht geschadet hat. Doch, hat es.
Ihr seid enttäuscht, weil all Eure Freunde vorher den modernen Kinderheckmeck auch doof fanden und es nun selbst wie alle anderen machen? Gut, ich bin auch enttäuscht. Davon, dass manche von Euch am Telefon gnadenlos weiterreden, wenn im Hintergrund eins meiner Kinder weint. Ihr findet, es müsse sich schließlich auch zurücknehmen können, wenn Mama mal telefonieren will. Musstet Ihr als Kind ja schließlich auch. Liebe Leute, da wart Ihr 8 und nicht zwei! Als Ihr zwei wart, hat Eure Mutter nämlich mit niemandem tagsüber telefoniert, das war nicht üblich. Überhaupt telefonieren. Ich soll nicht immer von meinen Kindern erzählen? Warum nicht? Ich habe heute und gestern und vorgestern viel Zeit mit ihnen verbracht und viel Energie, sie beschäftigen mich. Früher hat Euch auch interessiert, was mich beschäftigt. Mich interssiert auch, wie es Euch geht und Politik und Kultur im Übrigen auch. Auch, wenn ich nicht mehr so oft ins Kino gehen kann! Übrigens, deswegen kommen meine Kinder auch in Facebok vor. Die Idee von Facebook ist, sich über sein Leben öffentlich auszutauschen, das kann man mögen oder nicht. Ihr postet Eure Fernreisenfotos, Autos, neue Schuhe und Anderes, ich poste Sachen über meine Kinder und Anderes. Soll ich so tun, als hätte ich keine? Warum?!
Und ja, ich lebe mit Kindern in einer Großstadt. Das ist nicht immer einfach für alle. Nein, es ist nicht schön, wenn mehrere Muttis nebeneinander ihre Kinderwagen schieben und keinen Platz machen. Mich stört das auch, natürlich. Mich stört jeder Mensch, der rücksichtslos ist. Meine Beobachtungen haben ergeben, dass das auch auf manche Menschen ohne Kinder zutrifft. Sie hauen mir die Tür ins Gesicht, brüllen mir ihr Privatleben ins Ohr, nehmen mir die Vorfahrt oder latschen auf den Radweg. Und wisst Ihr was? Es gibt auch rücksichtsvolle Mütter, ganz im Ernst! Sie bedanken sich, wenn man ihnen Platz macht und bemühen sich, dass alle zurecht kommen. Sie entschuldigen sich, wenn sie zu ausladend sind. Und ganz ehrlich: Ja, eine Mutter mit einem Kinderwagen sollte möglichst noch Platz in einem Bus finden. Rückt einfach zusammen und haltet Eure Klappe. Das habt Ihr früher auch gemacht, bevor Eure Freunde Kinder gekriegt haben, ich auch.
Und noch was: Ihr seid genervt, weil es so schwierig ist, Eltern zu treffen? Weil die morgens arbeiten und nachmittags ihre Kinder betreuen und abends zu müde sind? Stellt Euch mal vor, ich bin davon auch oft genervt! Aber so ist es eben mit kleinen Kindern und so war es schon immer. Sie kosten Zeit und Kraft und Ihr müsst dafür ein bisschen Platz machen. Ihr fehlt mir trotzdem! Ich würde mich freuen, wenn ich mehr Besuch von Euch bekäme. Auch wenn ich zwischendruch mal nen Schnuller stecken muss oder früh müde werde. Wenn Ihr mal Kinder habt, sind meine vielleicht größer und dann komme ich zu Euch. Und wenn Ihr keine kriegt, komme ich auch.
Ach, und zu den Vätern, die Euch Männer plötzlich so nerven, weil sie ihre Babys im Tragetuch tragen und bei der Geburt dabei waren und davon erzählen, womöglich emotional. Ihr wolltet doch nie so werden, wie Eure eigenen Väter! Die sich erst viel zu spät für Euch interessiert haben und die ganze Erziehung Euren Müttern überlassen haben. Die sich beschwert haben, weil Eure Mütter im Wochenbett die Hemden nicht pünktlich gebügelt und die Haare nicht ordentlich onduliert hatten. Die Ihr nie habt weinen sehen. Jetzt sind sie da, die beteiligten, gefühlvollen Väter und wisst Ihr was? Das ist ein Schritt nach vorne! Es ist alles noch nicht perfekt, alle müssen noch ein bisschen üben, aber es wird besser, ist doch toll!
Und zu guter letzt: Früher saßen wir alle im selben Boot und nun verraten wir Eltern unsere alten Ideale? Ach was. Darüber haben wir schon mit 14 geschimpft, wenn der oder die erste plötzlich mit jemandem ging. Und darüber werden wir mit 90 noch schimpfen, wenn Stefan plötzlich doch ins Altersheim geht und es gar nicht so schlecht findet. Oder wenn Martin den Führerschein abgibt, obwohl er das nie wollte. Ja, Menschen ändern sich. Sie können sich trotzdem mögen.
Wollen wir uns vertragen?
PS: Wir haben niemals mit 5 Jahren stundenlang allein in all den vielen riesigen Wäldern der siebziger Jahre gespielt und sind mit Kirchengeläut nach Hause gekommen. Da waren wir mindestens 10. Wenn überhaupt. Ich persönlich hatte nie eine Seifenkiste und nie ein Baumhaus. Und so viele einsame Feldwege mit Bäumen zum Draufklettern und Schmetterlingen zum Fangen und Grashalmen zum Draufpfeifen gab es auch nicht. Das war bei Astrid Lindgren und Mark Twain.