Die Deutschlandfahne in der Yuccapalme


Wie und wo möchte ich später einmal leben? Diese Frage stellt man sich üblicher Weise das erste mal zwischen 16 und 20. Man hat große Pläne. Interessanter Weise stelle ich mir diese Frage heute, mit knapp 40, immer noch. Dabei ist längst später. Vielleicht, weil keiner der großen Pläne (Entwicklungshelferin in Afrika, 3 Kinder, großes Haus, in dem auch Bettler aus der Gegend bewirtet werden, kreativer Beruf, der mich erfüllt und reich macht…) bisher umgesetzt ist. Aus lauter Verzweiflung, dass ich kurz vor der Gezeitenwende mit 40 weder meine Jugendideen noch nennenswerte Alternativen in der Pipeline habe, stelle ich andauernd fest, wie ich auf keine Fall leben möchte. Zuletzt heute.

Ich saß, zusammen mit zwei schlafenden Babys, bei Minusgraden im feinen Blankenese im Campingbus meiner Freundin, und fror. Es wäre zu umständlich zu erklären, wie es dazu kam, jedenfalls war meine Freundin beim Arzt und draußen war Nebel, links von mir rauschte der Verkehr vorbei und rechts lag ein depressiver Bürgersteig am Straßenrand. Aus meinem Busfenster sah ich 2 Schaufenster, KIND Hörgeräte und einen spießigen Frisör (Coiffeur). Kein Mensch kam vorbei, kein Wind wehte, es regnete nicht einmal. Ich war, eingeschlossen in einen Käfig, mitten im Nichts. Mein Gott, dachte ich, hier möchte ich auf keinen Fall leben. Ein an sich überflüssiger Gedanke, denn es steht gar nicht zur Disposition, dort zu leben oder überhaupt irgendwo anders. Dann wachten die Babys auf und meine Freundin kam vom Arzt zurück. Ich schnallte mein Kind vor den Bauch und stieg in die nächste S-Bahn, um nach Hause zu fahren. Dort erreichte mich auf meinem Blackberry (!) die E-Mail meines besten Freundes, der gerade in Frankfurt beruflich mit Bänkern zu tun hat. Er schrieb, die seien alle sehr nett, aber an Humor nicht gewöhnt. Wenn man im Fahrstuhl einen mittelwitzigen Spruch bringe, dann könnten die sich vor Lachen nicht mehr halten. Ansonsten unterhielten sie sich über inserts auf web-application-servern, die deployed werden müssen. Bin ich froh, dachte ich nun, dass ich nicht in Frankfurt hocke und mit einem von denen verheiratet bin. Als hätte mich je einer gefragt. Dann stieg eine ältere Frau mit Sturzhelm in das Abteil ein, sie hatte so etwas wie das Tourette-Syndrom, jedenfalls redete sie laut und unkontrolliert vor sich hin, während sie, offenbar völlig entspannt, gleichzeitig in der Morgenpost las. „Ja nee, ich hab ja ne Porsche-Garage auf der Shelltankstelle!“, wiederholte sie mehrfach. So, dachte ich, das ist also das Leben. Mir fiel dieser Spruch von John Lennon ein, oder wer immer sich den ausgedacht hat: „Leben ist das, was stattfindet, während Du fleißig andere Pläne schmiedest“. So ist es. Vielleicht sitze ich morgen mit Helm auf dem Kopf in der S-Bahn und brülle Nonsens in die Gegend.

Oder ich bewohne ein Reihenhaus am Rande der Stadt. Mit selbst gebasteltem Fensterbild und weiß gestrichenem Zaun (von wegen Bettler am Tisch!). SPIEGEL ONLINE schreibt, das Reihenhaus sei in Deutschland wieder im Kommen, und weil es gemeinhin nicht mehr so viele Wohnsünden enthielte, dürfe auch einmal eine Deutschlandfahne in der Yuccapalme stecken. (Artikel).

Während ich also in Gedanken mit meinem Sturzhelm rhythmisch gegen einen Yuccapalmentopf schlage und meiner Deutschlandfahne wirres Gedankengut mitteile, fällt mir noch ein großartiges Statement zum Thema Lebensform ein. Es entschuldigt nahezu jeden Ausfall und stammt von der französischen Justizministerin, die ja Anfang Januar ein uneheliches Kind gebar und niemandem sagt, wer der Vater ist. Sie sagt dazu: „Mein Privatleben ist wahnsinnig kompliziert.“ Lässig, oder?

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