Respektismus

So, die #Aufschrei-Debatte dauert jetzt ja schon ein paar Wochen und hat viele erreicht und einige bewegt. Die einen noch weiter in die Ecke hinein, in der sie vorher schon waren, die anderen ein Stück aus ihr heraus, mich zum Beispiel. Und genau so gehört sich das ja auch für die kleinen evolutionären Schritte der Menschheit. Zum Beispiel galt bei den Primaten so lange ein dichtes, glänzendes Fell als schick und attraktiv, bis sich der aufrechte Gang entwickelt hatte. Als die ersten dann losliefen und lange Strecken durch die Savanne zurück legten, entpuppte sich das Fell als hinderlich, da man damit nicht schwitzen konnte. Das ging ja auch nicht von heut auf morgen und viele Damen dieser Zeit werden das glänzende Fell noch lange total schön gefunden und die Herren werden sich furchtbar nackt gefühlt haben, damals, ganz am Anfang. Das gehört natürlich gar nicht hierher, aber ich hab das neulich im Fernsehen gesehen und es fiel mir gerade ein.

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Also, die Debatte. Was mich daran interessiert, ist die Schwelle. Es ist ja so, dass eine Debatte, die auf -ismus endet, gemeinhin sehr lange in einer sehr großen, breiigen Grauzone verharrt. In dieser Zone, in der jeder und jede ein Plätzchen für die eigene Haltung findet. Das Mädel im knappen Röckchen, dem der Bauarbeiter hinterher pfeift, ist ein Beispiel. Man kann kontrovers besprechen, ob das etwas mit -ismus zu tun hat, denn natürlich hat das Mädel kein knappes Röckchen allein zu Hause vor dem PC an, weils so gemütlich ist. Wenn er ihr echte Avancen macht, wirds schon etwas wackeliger. Wenn er ihr an den Po fasst, wird eine große Masse aufschreien und das verurteilen und wenn er sie ohne ihr ausdrückliches Einverständnis an die Wand drückt und küsst, ist es strafbar.

 

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Ein anderes Beispiel ist der viel zitierte Negerkuss. Man kann darüber streiten, ob dieses Wort etwas mit -ismus zu tun hat, denn es wird von den meisten völlig losgelöst von seiner ursprünglichen Wortbedeutung verwendet. Allerdings, sobald ein Farbiger daneben steht, wird der „Negerkuss“ vermutlich vielen Verfechtern dieses Begriffes eben doch im Halse stecken bleiben und schnell noch ersetzt werden. Selbstverständlich wird diese Person aus „Negerkuss“ auch nicht ableiten, dass man von Farbigen als Negern spricht. Tut sie es doch und paart es mit einer gesellschaftlichen Benachteiligung, wird es strafbar.

 

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Es gibt sie also, diese Schwelle, an der sich fast alle einig sind, dass hier etwas falsch läuft. Nur in den Grauzonen, die vor diesen allgemein anerkannten Schwellen liegen, wird gekämpft. Deswegen, weil alle sich falsch verstanden fühlen. Das wiederum liegt daran, dass der Absender sich darauf zurückzieht, wie es gemeint war: überhaupt nicht herabwürdigend nämlich. Und da steckt der Teufel. Indem wir unser Verhalten ausschließlich an dem messen, wie es gemeint ist, handeln wir bereits herabwürdigend. In den allermeisten Fällen wahrscheinlich völlig harm- und wirkungslos, aber eben nicht immer. Erst, wenn wir mit in Betracht ziehen, wie das, was wir sagen und tun, beim anderen ankommt, behandeln wir ihn mit Respekt. Immer. In unseren Beziehungen, im Arbeitsumfeld, im Kindergarten, in der Schule und eben auch im Rahmen von gesellschaftlichen -ismusdebatten.

Allerdings: Zu einem respektvollen Miteinander gehört auch, unsere eigenen Grenzen zu äußern, ohne ebenfalls herabwürdigend zu werden. Eine hohe Kunst, ich persönlich beherrsche sie so gut wie Skifahren (Ich komme blaue Pisten mit Mühe runter und bin schnell erschöpft). Wer den „Negerkuss“-Verwender als Nazi bezeichnet, wird nicht viel mehr bewirken, als einen noch tieferen Graben der Respektlosigkeit. Wer den pfeifenden Bauarbeiter als Vergewaltiger beschimpft, ebenso. Wer aber in aller Deutlichkeit mitteilt, dass eine Schwelle überschritten ist, hat immer Recht.

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(Bildquellen: 1: Dieter Schütz, 2: Michael Groß, 3 Tomizak, 4: Rainer Sturm,  Alle: pixelio.de)

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