Toll, toller, Toleranz


Heute beschäftige ich mich mit der Frage, ob ich tolerant bin. Ich finde ja total. Also auf den ersten Blick. Mit und neben mir darf jeder so leben, wie er oder sie es möchte, so lange er oder sie mir nichts tut. Also mit Kopftuch oder ohne, mit Auto oder ohne, er darf Kinder mögen oder Hunde oder Katzen oder Vogelspinnen. Religion, Sexuelle Neigungen, Herkunft, geschenkt. Voll tolerant, oder? Ich gehe sogar so weit, dass ich Andersdenkende und -lebende um mich herum geradezu einfordere, ich langweile mich nämlich sonst. Ich brauche ein bisschen Unterhaltung, Inspiration und auch Reibung, sonst spüre ich mich nicht. Tja, Reibung.

Neulich war ich bei einer Kosmetikerin. So einer Hotelkosmetikerin, die gestressten Muttis wie mir eine Stunde lang das Gefühl gibt, sie seien Kleopatra, mindestens. Natürlich habe ich mich auch hier nach kürzester Zeit gelangweilt und wir kamen ins Gespräch und irgendwie, nach ein paar inhaltslosen Schlangenlinien, waren wir beim Thema Toleranz gelandet. Der unvermeidliche Satz kam: „Ich hab ja nichts gegen Ausländer“. In mir passierte allerlei. Immerhin war ich Kleopatra und sollte mich entspannen, da hieß es, Contenance bewahren, sonst war alles dahin. Außerdem war die Dame nicht nur total nett, sondern sie verwöhnte und bepuschelte mich, während sie sich darüber ausließ, dass die „Sintis und Romas“ zu viert nach Deutschland kommen, „und dann machen die ein Gewerbe auf, aber arbeiten gar nicht und dann holen die alle anderen nach und dann leben die hier zu zehnt. Von Ihren Steuern! Und ich steh hier für das gleiche Geld und mache. Und dann beschweren die sich noch, dass sie so eng wohnen müssen! Und das finden Sie richtig?“ So, darauf nun mal antworten, mattgebatikt mit Waschlappen im Gesicht. Und da wurde mir klar: Jetzt war die wahre Stunde meiner Toleranzprüfung gekommen.

Jetzt durften sie alle aus ihren Löchern kommen, die wirklich Andersdenkenden als ich: Leute, die ihre eigene Kultur bedroht sehen, wenn zu viele Muslime in Deutschland leben. Leute, die Anpassung und Integration verwechseln, also in meiner Welt. Leute, die die Straßenverkehrsordnung auswendig können, falls ein Radfahrer mal nicht absteigt. Leute, die behende vor der wackligen Omi mit ihrem Schwerbehindertenausweis wedeln. Insgesamt Leute, die glauben, sie kämen zu kurz im Leben, und zwar grundsätzlich. Leute, die Kunst nur mögen, wenn sie sie mitsummen oder nachmalen können. Leute, die jeden Satz mit Ich anfangen. Leute, die nicht sehen können, ob einer weint oder lacht. Leute, die glauben, sie kennen keine Schwulen oder Lesben, und wenn, dann störe es sie ja auch gar nicht, solange die das nicht so raushängen lassen. Leute, die meinen, Neger sei ein völlig korrekter Begriff, weil er ja nicht bös gemeint ist und die, die Negerkuss nicht mehr sagen, hätten auch sonst keinen Spaß im Leben. Hab ich wen vergessen?

Während ich also in saubersten Ichbotschaften von meiner Haltung faselte, nach der jeder hier herkommen könne, der mich nicht angreift und unsere Gesetze respektiert, und davon, dass ich persönlich noch keine schlechten Erfahrungen diesbezüglich gemacht hätte und mithin auch bereit sei, meine Steuern für jeden zu zahlen, der diese Steuergelder eben braucht, merkte ich, wie intolerant ich bin. Ich wollte nämlich nur eines: die Kosmetikerin von meiner Haltung überzeugen. Ich säuselte, argumentierte vorsichtig, aber bestimmt, ging hier und da einen Schritt auf sie zu, umgarnte sie mit meiner Weltsicht und lobte sie derweil für ihre Kosmetikkunst. Hätte ich gewusst, dass sie auch nur eines meiner Argumente mit nach Hause genommen und dort gar vorgetragen hätte, es wäre mein Erfolg gewesen.

Jedem anderen Vertreter der oben genannten Personengruppen wird mein missionarischer Eifer ebenso zuteil, wenn er mich lässt. Ich halte mich nämlich – und jetzt tuts weh – für moralisch überlegen. Ich halte meine Lebensmaxime für besser und mich selbst dahingehend für toller als die. Krass, oder? Wenn es aber keine Bewahrer, keine Ängstlichen, keine Intoleranten gäbe, niemanden, der seine Gruppe verteidigt vor Fremden, niemanden, für den Regeln Sicherheit bedeuten, niemanden, der zuerst sich und seine Absicht sieht und dann erst die anderen, wäre die Welt dann besser?

Ja!

Nein!

Doch!

Ach, was weiß denn ich. Die Kosmetikerin und ich, wir mochten uns jedenfalls trotz Allem und darauf bin ich stolz. Und meine Augenbrauen, ich sag Euch: toll!

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