Wie ich dieses Jahr meine Selbstständigkeit startete
Wie es mir Spaß machte
Wie es langsam losging mit ersten Kunden und Projekten
Wie ich eine tolle Beratungsfirma fand, bei der ich als Freie unterkam
Wie ich eigene Kunden akquirierte
Wie ich zudem freie Beraterin einer großen Firma wurde
Wie alles immer besser lief
Wie alles immer mehr Spaß machte
Wie ich immer mehr lernte
Wie meine Tochter in die Schule kam und in drei Wochen ein ganzes Jahr reifte
Wie mein kleiner Sohn sich die Schulter brach und genas
Wie das Leben immer mehr wurde und schneller und erfolgreicher
Wie ich das toll fand
Wie ich mit 180 auf der linken Spur fuhr und wie ich dabei sang vor Freude
Wie ich merkte, dass ich gar nicht genug getankt hatte
Wie ich wieder etwas langsamer wurde
Wie mein Sohn eine Mauer herab stürzte
Auf eine Steintreppe
Und sein Schutzengel gerade noch rechtzeitig zur Stelle war
Wie ich mehr Zeit für meine Familie haben wollte
Wie ich mehr Zeit für mich haben wollte
Wie mir das ganz langsam gelang
Wie ich voller Freude war über das Erreichte
Wie ich dauernd Rückenschmerzen hatte
Wie plötzlich mein Fuß an einer Stelle taub war
Wie ich mich darum kümmerte und es trotzdem immer schlimmer wurde
Wie ich mit einem gelähmten Fuß ins Krankenhaus kam
Wie sie mich gleich da behielten
Wie sie mir sagten, es sei die Bandscheibe
Wie die aber ganz gesund war und ich tagelang untersucht wurde
Wie ich auf der Neurologischen landete
Mit einem nun fast vollständig gelähmten Bein
Wie in meinem Zimmer schon eine Frau in meinem Alter lag
Wie die sich ärgerte, dass jemand mit rein kam
Wie diese Frau sehr krank war
Wie sie Spastiken hatte, die sie unendlich erschöpften
Wie sie weinte, weil sie plötzlich nicht mal mehr den Telefonhörer halten konnte
Wie ich froh war, dass ich ihn halten durfte und nicht hilflos sein musste
Wie die Schwestern und Pfleger zu wenig Zeit hatten
Wie die Frau nur in Notfällen nach ihnen klingelte
Wie mein anderes Bein plötzlich auch keine Reflexe mehr zeigte
Und man mir sagte, dass auch ich vielleicht sehr krank bin
Wie die Welt implodierte
In ein Tränenmeer fiel
Und weg schwamm
Wie es ganz still wurde in mir
Wie die Ungewissheit so groß wurde, wie das Universum
Wie die Spastiken die Beine der Frau verknoteten und niemand kam
Wie wir sie zusammen auseinander bekamen und uns gemeinsam freuten
Wie sie auf Toilette musste und niemand rechtzeitig half
Wie sie deshalb in die Hose machte
Wie ich trotz allem froh war, dass sie da war in diesen Tagen
Wie mir ihre Eltern Kopfhörer mitbrachten, weil ich keine hatte
„Als Weihnachtsgeschenk“
Wie meine Kinder fröhlich über den Krankenhausflur kegelten
Wie meine Tochter mir erzählte, dass sie abends nicht einschlafen kann, weil sie an mich denkt
Wie der Nikolaus zu den Kindern kam und mir etwas mitbrachte, weil sie auf einen Schuh
Auch für mich bestanden hatten
Wie mein Bein von Tag zu Tag schlechter wurde und ich nicht mehr laufen konnte
Wie ich mit Verdrängen und Aushalten beschäftigt war
Den ganzen Tag
Wie die Frau meine Freundin wurde und ich ihre
Wie wir gemeinsam lästerten über die, die stumpf waren
Und die ehrten, die menschlich geblieben waren in all dem
Wie sie einen Tag beinahe ohnmächtig aus ihrem Rollstuhl gefallen wäre
Und einen anderen fast erstickte
Wie ich die schönsten Liebesbriefe von meiner Tochter erhielt
Wie mein Sohn mir ein Bild malte und es lieber wieder mitnehmen wollte
Damit das Bild zu Hause auf Mama warten sollte
Wie der Mann mir einen Weihnachtsstern und Unterhosen und eine Umarmung mitbrachte
Wie meine Freundin entlassen wurde
Und die Nachtschwester mir erzählte, wie anstrengend sie war
Und ich sagte „Natürlich war sie das. Es ging ihr schlecht.“
Wie ich tagelang auf die Untersuchungsergebnisse wartete
Wie zu Hause alles weiter lief, weil Freunde und Familie da waren und halfen
Alle
Wie ich am Ende bloß eine harmlose Borreliose hatte
Und alles gut wurde.
Wie ich alles, was ich nun weiß, auch vorher wusste
Das mit der Zeit und dem Wesentlichen
Wie ich jeden Kalenderspruch kenne, der dazu geschrieben wurde und noch geschrieben wird
Wie jetzt trotzdem alles anders ist, für immer.
2015, here I come!
(Foto Universum: Bernhard Mayr / Pixelio)
Dankeschön, lieber Schlendrijahn <3!
Wie ich nachts nicht schlafen konnte, Susannes Blog las und so viel Herz und Empathie darin fand.
Wie ich dachte, obwohl ich das schon lange wusste: Susanne ist ne gute.
Wie ich mich extra registrierte, nur um ihr das zu schreiben.
Danke Susanne, für diesen schönen Text und alles gute für 2015! <3
Und wie schön, dass alles wieder gut wurde! ☺
Pingback: Woanders – diesmal mit der Medienerziehung, einem Kulturblog, einer alten Dame und anderem | Herzdamengeschichten